Spuren verwischen im Netz
Ein Big-Data-Kongress in Köln holte Technikthemen aus der Nerd-Ecke
Während Netzthemen bislang oft den Nerds unter den Linken vorbehalten waren, versuchte ein Kongress am vergangenen Wochenende in Köln neue Perspektiven aufzuzeigen. Der Titel »Leben ist kein Algorithmus - Solidarische Perspektiven gegen den technologischen Zugriff« klingt erst mal sperrig. Der Organisationsgruppe des Kölner Kongresses gelang es aber, diesen Titel mit einem äußerst abwechslungsreichen spannenden Programm auszufüllen. Unterstützt wurden sie dafür von der BUKO (Bundeskoordination Internationalismus).
Künstliche Intelligenz, das »Prinzip Amazon« und das Leben und Arbeiten in einer »smarten Welt« standen im Zentrum des Kongresses. In einigen Workshops konnten aber auch ganz praktischen Fähigkeiten erlernt werden. Das Alleinstellungsmerkmal für den Kongress am vergangenen Wochenende dürfte allerdings die globale Perspektive sein, aus der auf Themen, die irgendwie mit dem Netz oder Daten zu tun haben, geblickt wurde.
Nach Köln wurden Aktivisten und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Kontexten eingeladen, um über ihre Themen zu sprechen. So sprach Jenny Chan, eine Soziologin aus Hongkong, über »moderne Sklaverei« und die Kämpfe für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen beim chinesischen Technologieriesen Foxconn. Das Unternehmen stellt Bauteile für alle namhaften Elektronikhersteller von Apple bis Sony her. Die Produktionsstätten sind über Niedriglohnländer auf dem ganzen Globus verteilt. Yves Ndagano sprach über die Arbeitsbedingungen in den kongolesischen Coltan-Minen und darüber, wie sich dort der Widerstand organisiert.
Ein anderes Thema war der Komplex Flucht und die Migrationskontrolle. Gerade hier wurde deutlich, wie zwiespältig die Rolle von Technik und Social Media beurteilt werden muss. Smartphones, Twitter und Facebook spielen bei der Flucht eine wichte Rolle, über sie lassen sich Schlupflöcher durch die europäischen Mauern finden. Auf der anderen Seite werden sie auch von den Sicherheitsbehörden genutzt, um Fluchtrouten zu erfassen und Fluchthelfer zu kriminalisieren. Zum Komplex Big Data gehört hier zudem die totale Erfassung von Asylsuchenden in der EU mittels verschiedener vernetzter Datenbanken.
Auch die Gesundheitsversorgung steht zunehmend im Fokus der Digitalisierung. Das bekannteste Beispiel dafür in Deutschland dürfte die »Elektronische Gesundheitskarte« sein. Sie ist allerdings harmlos gegen die neuesten Trends der Gesundheitsspionage. Krankenkassen und Technologiekonzerne bauen auf Selbstoptimierung: Fitnessarmbänder messen, wie oft und wie weit Menschen laufen, messen Herzrhythmus und Cholesterinspiegel und senden die Daten per App an die Versicherer. Diese teilen dem Versicherten dann mit, welche Krankheiten ihn Zukunft heimsuchen könnten. Bei gesunder Lebensführung dagegen winkt die Kasse mit Belohnungen.
Beim Kongress in Köln wurde aber auch darüber gesprochen, was jeder tun kann, um Sand in das Getriebe der Datensammler zu streuen. Eine der einfachsten und effektivsten Möglichkeiten ist sicherlich die Nutzung von »Tails«. »Tails« ist ein Linuxbetriebssystem das komplett über einen USB-Stick läuft. Daten werden so nicht dauerhaft gespeichert. Der Internetverkehr wird bei »Tails« komplett über den anonymisierenden »Tor-Browser« geleitet. Für politische Arbeit oder sensible Recherchen ist »Tails« eine nahezu perfekte Lösung.
Auch andere praktische Dinge wurden beim Kongress besprochen: Wie nutzt man die PGP-Verschlüsselung? Wie bekomme ich heraus, was Polizei und Verfassungsschutz über mich gespeichert haben? Oder, wie stelle ich Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz?
Am Sonntagnachmittag endete der gut besuchte Kölner Kongress. Wer sich aus kapitalismuskritischer Perspektive weiter mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen möchte, hat schon Ende November wieder die Gelegenheit. Denn das »…ums Ganze«-Bündnis lädt zum Kongress nach Hamburg.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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