Breakdance in der DDR
Nico Raschicks Dokumentarfilm »Here We Come«
Freudestrahlend steht Nico Raschick auf der Bühne vor der Leinwand des mit 1000 Zuschauern ausverkauften Saals im Leipziger Kino Cinestar. Seine Dokumentation »Here We Come« hat im Rahmen des 49. internationalen DOKfestivals Premiere. »Ihr habt mir gerade den Film durch eure Reaktion zurückgegeben«, sagt der Regisseur sichtlich gerührt an die Adresse des Publikums. Raschick, gebürtiger Dessauer und zur Zeit Filmstudent an der Filmhochschule Ludwigsburg, widmet sich in seinem ersten abendfüllenden Film auf gleichermaßen unterhaltsame wie informative Art und Weise einem vermeintlichen Spartenthema: Breakdance in der DDR.
Rückblende: Anfang der achtziger Jahre kam Breakdance in Deutschland an. Entstanden war die akrobatisch anspruchsvolle Tanzform in den US-amerikanischen Schwarzenghettos als Teil der HipHop-Kultur. Während es im Westen kein Problem war, sich in den Medien über das Phänomen zu informieren, war in der DDR schon etwas mehr Engagement vonnöten. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch: Die Trainingsanzüge wurden von Mutti genäht, ansonsten brauchte der angehende Breakdancer, »B-Boy« genannt, sowieso nicht viel außer einer guten Körperbeherrschung.
Schon bald trafen sich überall in der Republik, vor allem in den Epizentren Berlin, Leipzig und Dessau, bunt gekleidete Jugendliche, die sich zu aus dem Radio aufgenommener Rap-Musik rhythmisch verrenkten. Die Staatsmacht stand diesem Einfluss aus dem verpönten Westen etwas unschlüssig gegenüber, versuchte aber, die neue Jugendkultur in den sozialistischen Kulturbetrieb zu integrieren. So kam es, dass die Breakdancer ihr Können schließlich sogar im Fernsehen bei Helga Hahnemann oder unter den Augen von Staats- und Parteigrößen im Palast der Republik zeigen durften.
Für »Here We Come« hat Raschick die Protagonisten dieser Bewegung aufgesucht und vor die Kamera gebeten. Er selbst gehört nicht zur HipHop-Szene. Die Idee, sich mit dem bisher kaum dokumentierten Sujet zu befassen, kam ihm eher zufällig. Während der Dreharbeiten zu einem Kurzfilm erzählte ein Mitglied der Filmcrew, das in den frühen Achtzigern selbst Breakdance-Aktivist war, Geschichten von damals. Raschicks Interesse war geweckt. Und bei seinen Recherchen machte er eine überraschende Erkenntnis: Das Thema betraf ihn persönlich mehr, als er gedacht hätte. »Im Film geht es ja nicht nur um Breakdance in der DDR, sondern auch ganz allgemein darum, eine Leidenschaft für etwas zu empfinden, ob das jetzt Breakdance ist oder - wie bei mir seinerzeit - Handball. Eben an etwas ganz eigenem festzuhalten, unabhängig vom System oder von Schwierigkeiten.«
Die Rolle des Fachmanns in Hip-Hop-Fragen übernahm Matthias Kretzschmer genannt Kretschi, wie Raschick aus Dessau stammend, selbst Breakdancer seit 1987 und heute Chef einer unabhängigen Rap-Plattenfirma. Die Tänzer, die im Film zu Wort kommen, sind allesamt Idole seiner Jugend. In »Here We Come« sieht er indes weit mehr als einen Film für Nostalgiker und HipHop-Fans. »Der realistische Einblick in den DDR-Alltag überrascht die meisten. Dadurch ist es auch für Außenstehende ein interessanter Film, gerade für die aus den alten Bundesländern.«
Auch Raschick ist der Meinung, dass der Streifen fernab von jeglicher Ostalgie ein Beitrag zum Dialog zwischen Ost- und Westdeutschen sein kann. »Den Film über die DDR kann man sowieso nicht machen, aber je spezieller das Thema ist, desto genauer wird das Ergebnis«, merkt er an. »"Here We Come" ist unglaublich gut geeignet, vielen Leuten einen Eindruck zu verschaffen, wie die DDR tatsächlich war, weil er ein sehr persönliches Gefühl für den ganz normalen Alltag vermittelt.«
Beim Filmfestival in Lünen gewann der Dok-Film den Hauptpreis, die »...
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