Stärkere Mobilisierung durch Vernetzung

Knapp 700 TeilnehmerInnen diskutierten bei der dritten Streikkonferenz über die Zukunft der Gewerkschaften

  • Hans-Gerd Öfinger, 
Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

»Gemeinsam gewinnen«, lautete der selbstbewusste Titel einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) mit knapp 700 Teilnehmern am Wochenende in Frankfurt am Main. Es war die dritte Veranstaltung der Reihe »Erneuerung durch Streik« mit linken Betriebsaktivisten, hauptamtlichen und ehrenamtlichen Gewerkschaftern und Streikunterstützern.

»Es sind mehr Junge als Senioren und weniger Schwätzer und Selbstdarsteller gekommen«, brachte es ein »alter Hase« auf den Punkt, der bereits 2012 und 2014 dabei war und sich über ein »großes, buntes Treffen kämpferischer und optimistischer Betriebs- und Gewerkschaftsaktivisten« freute. So machten denn auch für viele Akteure nicht in erster Linie die Vorträge von »Promis« im Plenum, sondern der direkte praxisbezogene und bundesweite Austausch in Arbeitsgruppen, branchenbezogenen wie auch branchenübergreifenden Treffen den besonderen Charme der Veranstaltung aus.

Einen Nährboden für lebendige und konkrete Gespräche bildeten Arbeitskämpfe der vergangenen Jahre - so etwa im Pflegebereich, wo der erfolgreiche Kampf um eine tarifliche Mindestpersonalbemessung bei der Berliner Universitätsklinik Charité aufhorchen ließ. Aber auch in den Sozial- und Erziehungsdiensten, in der Post- und Logistikbranche, beim Versandhändler Amazon und anderswo. Überall war das Bedürfnis zu spüren, Stärken und Schwächen in Streikbewegungen aufzuarbeiten und vor der nächsten Runde auf eine noch bessere Mobilisierung, Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und Solidarisierung hinzuarbeiten. »Eine sehr gute Vernetzungskonferenz! Ich fand es bombastisch, was da auf die Füße gestellt wurde und habe für meinen Bereich viele Anregungen mitgenommen«, so eine Verkäuferin aus der Pfalz.

Macht ein öffentlicher Aufruf zum Konsumboykott bestimmter Ladenketten und Konzerne wie Amazon als Ausdruck der Solidarität Sinn? »Die Belegschaft hat Angst davor und das funktioniert auch nicht«, riet ein ver.di-Aktivist von solchen Überlegungen ab. Sinnvoller sei es, gerade in der Vorweihnachtszeit bei großen Versandhäusern das Recht auf Rücksendung der gelieferten Ware in Anspruch zu nehmen und als Zeichen der persönlichen Unterstützung der Streikenden die Pakete mit Aufklebern und Grußbotschaften zu versehen.

Stehende Ovationen und Begeisterung ernteten etwa 20 Arbeiter des Leuchtenherstellers Zumtobel in Usingen, die seit Anfang September für einen Sozialtarifvertrag kämpfen, um die Folgen der angekündigten Werksschließung abzumildern. Bei einer spontanen Spendensammlung im Saal kamen über 1900 Euro zusammen. Dieser Auftritt der Zumtobel-Arbeiter habe bei ihm ein »Gänsehautgefühl« ausgelöst, bekannte Jens Löbel gegenüber »nd«. Der Thüringer Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kam in einer Arbeitsgruppe mit der Fragestellung »Was man von Ostdeutschland lernen kann« zu Wort. Dabei bestätige er die Ergebnisse einer Studie der Otto Brenner-Stiftung (OBS), wonach im Osten inzwischen viele Beschäftigte aus der Generation der 30- bis 48-Jährigen sich »nicht mehr alles gefallen lassen« und verstärkt zu Arbeitskämpfen bereit seien. Auch nach 26 Jahren deutscher Einheit sei der Osten vielfach nur eine »verlängerte Werkbank« des Westens und die Ungleichheit vielfach selbst innerhalb eines Konzerns noch spürbar. Beim Raststättenbetreiber Autogrill etwa, wo 2014 monatelang um einen Tarifvertrag gerungen wurde, gehe der Kleinkrieg um falsche Lohnabrechnungen weiter, so Löbel.

Im Vergleich zu früher waren auch offizielle Gewerkschaftsgremien stärker an der Konferenz beteiligt. Ein Novum war aus Veranstaltersicht die Unterstützung und Mobilisierung durch regionale IG-Metall-Verwaltungsstellen und die Bildungsgewerkschaft GEW. Mit der NGG-Vorsitzenden Michaela Rosenberger trat erstmals die Nummer Eins einer DGB-Gewerkschaft auf. Sie bekannte sich zum Engagement gegen Rassismus und Spaltungsversuche in Betrieb und Gesellschaft.

Die von der Bevölkerungsmehrheit unterstützte jüngste Streik- und Protestbewegung in Frankreich gegen Einschnitte im Arbeitsrecht schilderte André Hemmerle von der Nahrungsmittel- und Landarbeitergewerkschaft CGT-FNAF.

Er kündigte weitere Proteste auch im Wahlkampf vor den Präsidentschaftswahlen 2017 an und rief zum internationalen Schulterschluss der Arbeiterbewegung aufrief.

»Die Konzerne sind uns weit voraus und global vernetzt, tragen aber keine globale Verantwortung. Internationale Zusammenarbeit ist ein Muss«, so Gudrun Willner von »ExChains«. Das Netzwerk prangert menschenunwürdige Arbeitsbedingungen im Textilbereich an und bringt dabei die Ausbeutung asiatischer Textilarbeiterinnen ebenso zur Sprache wie die Niedriglöhne, die deutsche Verkäuferinnen zu Aufstockerinnen machen.

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