Linkspartei: Debatte um Spitzenkandidaten geht weiter

Brief von 40 Politikern / Linksreformer warnen vor »Selbstzerlegung« / Ältestenrat drückt Besorgnis aus

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Berlin. In der Linkspartei geht die Debatte um die Frage der Spitzenkandidaturen bei den Bundestagswahlen 2017 weiter. Unter der Überschrift »Gegen die Legendenbildung« haben sich 40 Politiker gegen die in den meisten Medien kursierende Darstellung gewandt, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch »hätten sich selbst zu Spitzenkandidaten ernannt. Das ist schlicht falsch«, heißt es in dem unter anderem von Landeschefs aus Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Rheinland-Pfalz sowie den Bundestagsfraktionsvize Heike Hänsel, Jan Korte, Sabine Zimmermann und Frank Tempel unterzeichneten Papier. Die Behauptung sei »geeignet, die notwendige Diskussion über die Spitzenkandidaturen zu vergiften«.

Geschmeckt hat die Debatte ohnehin nicht vielen – aus ganz unterschiedilchen Gründen. Nach einer Sitzung von führenden Linkspartei-Politikern Anfang vergangener Woche in Berlin hatten Teilnehmer von »Selbstkrönung« und »Erpressung« gesprochen – gemeint war: Wagenknecht und Bartsch hätten die Frage der Spitzenkandidatur für sich entscheiden wollen. Beide hatten in der Runde ihre Ambitionen auf die Führung des Wahlkampfs im kommenden Jahr erklärt, dies war als Votum gegen eine ebenso mögliche Vierer-Spitze gemeinsam mit Katja Kipping und Bernd Riexinger interpretiert worden.

Gegenüber »nd« hatte Bartsch diese Darstellung zurückgewiesen. »Wir sind nicht vorgeprescht«, sagte er. Vielmehr seien in der Runde von Kipping verschiedene Varianten zum Personaltableau geäußert worden, dazu hätten sich Wagenknecht und Bartsch dann positioniert. Eine Rolle für deren Bedenken gegenüber einer Quartett-Lösung spielen auch die »schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit«, Wagenknecht und Bartsch stünden »für eine solche Konstellation daher persönlich auch nicht zur Verfügung«, heißt es nun in dem Papier der 40.

Darin wird zudem das »klare Angebot« von Wagenknecht und Bartsch mit dem Argument begrüßt, beide würden »profiliert die Bundestagsfraktion« führen. Dass beide ihre Ambitionen deutlich gemacht haben, sei »auch zu diesem Zeitpunkt« richtig gewesen, »damit der Entscheidungsprozess über diese wichtige Frage nicht ins Stocken gerät«. Es sei dadurch »in keiner Weise« das Vorschlagsrecht des Vorstands der Partei oder ein möglicher Mitgliederentscheid in Frage gestellt worden.

»Zahlenspielen, Proporzgeschachere«

Die Unterzeichner gehören verschiedenen Strömungen der Partei an. Vertreter des linksreformerischen Forums Demokratischer Sozialismus sind ebenso darunter wie Politiker, die sich selbst auf dem linken Flügel der Partei verorten. Seitens der Linksreformer ist am Donnerstag beklagt worden, »dass sich unsere Partei wieder in sattsam bekannter Leidenschaft selbst zerlegt und dadurch notwendige gesellschaftliche Debatten wieder einmal hinter Zahlenspielen und Proporzgeschachere zurücktreten«.

In einer Erklärung der Spitzen der Strömung wird zudem die Zurückweisung eines ersten Entwurfs von Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn für die Wahlstrategie durch den Vorstand der Linken kritisiert. »Wenn jetzt gesagt wird, wir sollten zunächst über unsere Strategie reden – was wir ausdrücklich begrüßen –, muss auch benannt werden, warum dies bislang nicht möglich war. Offensichtlich eint große Teile der Führungsgremien immer noch der gemeinsame Feind, nicht aber die gemeinsame Idee. Das wird auf Dauer schief gehen«, so das Forum Demokratischer Sozialismus.

Höhn hatte seinen im Vorstand der Linkspartei zunächst durchgefallenen Entwurf verteidigt. »Einige inszenieren bestenfalls eine Kontroverse über Thesen und Forderungen, die niemand aufgestellt hat«, schreibt Höhn im sozialen Netzwerk Facebook. Es sei nicht richtig, wie immer wieder von parteiinternen Kritikern behauptet, dass der erste Ansatz für die Wahlstrategie 2017 auf die rot-rot-grüne Regierungsfrage, auf eine Art »Wahlkampf für andere Parteien« oder auf die Aufgabe der Eigenständigkeit der Linkspartei ausgerichtet sei. Er habe in den vergangenen Tagen viel Kritik lesen und hören müssen, die »reichlich am Text vorbei« formuliert worden sei. Sinnvoll sei, »über unterschiedliche Ansätze und Vorschläge zu diskutieren, aber nicht über Legenden«.

Es geht um innerlinke Kräfteverhältnisse

Zu dem Dissens über die Wahlstrategie trat unmittelbar danach die Debatte über das Spitzenpersonal zur Bundestagswahl – und hinter allem steckt mehr als nur ein Konflikt um taktische Fragen. Es geht auch um die Kräfteverhältnisse zwischen Bundestagsfraktion und Parteispitze, darin eingewirkt geht es auch um inhaltliche Differenzen.

In der vergangenen Woche hatten sich bereits 30 andere Politiker der Linkspartei mit einem gemeinsamen Papier in die Debatte um die Spitzenkandidaturen eingeschaltet und dafür plädiert, »das gemeinsame Gewicht unserer Partei- und Fraktionsvorsitzenden« zur Geltung zu bringen. Um im kommenden Herbst erfolgreich zu sein, müsse die Linke »in den zentralen Feldern der politischen Auseinandersetzung eigene inhaltliche Positionen markieren und diese auch personell mit der Aufstellung von profilierten Spitzenkandidat*innen abbilden«, heißt es da weiter. Ein Spitzen-Quartett sei »dazu eine geeignete Lösung«.

Zuvor war eine Erklärung der ostdeutschen Landesvorsitzenden im Streit um die Spitzenkandidatur veröffentlicht worden, darin hatten diese sich dafür ausgesprochen, erst einmal die Wahlstrategie zu beraten, bevor Personalfragen diskutiert werden. Die nun ausgebrochene Debatte über die Frage Doppelspitze, Quartett oder eine andere Option sei ein »massiver Rückschlag«, hieß es in diesem Brief. Die Strömung Emanzipatorische Linke hatte derweil einen Basisentscheid über die Personalien verlangt. Die Debatte um Namen und Personen zeige, »dass wir die Bestimmung der Spitzenkandidierenden demokratisieren müssen«. Man werde sich daher auf dem kommenden Bundesparteitag der LINKEN für eine grundlegende Regeländerung einsetzen: Per Satzungsänderungen sollen, so die Strömung, Mitgliederentscheide zur Bestimmung von Spitzenkandidaturen »verpflichtend« gemacht werden.

Ältestenrat drückt Besorgnis aus

Am Donnerstag beriet auch der Ältestenrat über den Streit. »Die vielen Zwischentöne«, die man aus der Partei nun vernehme, »sind für einen Erfolg im Wahlkampf mehr als nur schädlich. Nicht die Inhalte einer so notwendigen linken Politik wurden diskutiert«, so die Erklärung des Gremiums, stattdessen sei »vom geschäftsführenden Parteivorstand« eine Debatte über Modelle der Spitzenkandidaturen »ausgelöst« worden. Es sei auch keineswegs hilfreich, heißt es mit Blick auf die Auseinandersetzungen um Höhns Strategiepapier, wenn »die Debatte über die Wahlstrategie auf Nebengleisen beginnt«. In der Erklärung des Ältestenrates wird eine Lösung aus »zwei Spitzenkandidaten und eine noch nicht erreichte Stärke im Kampf um Direktmandate« als »Summe vieler Lehren und Erfahrungen« genannt.

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