Linke Seniorin erhält Strafbefehl
Aktivistin will nach Verurteilung wegen Sachbeschädigung in Berufung gehen
Ob ein Hakenkreuz an der Hauswand oder ein NPD-Aufkleber an der Laterne: Die 70-jährige Irmela Mensah-Schramm ist zur Stelle und entfernt die Nazipropaganda. 40 Stunden die Woche, in Berlin und auch bundesweit, ist sie dafür auf der Straße. Mal wird gekratzt, mal geschrubbt - und wenn alles nichts hilft, auch übermalt. Die Ausrüstung: Stoffbeutel mit Nagellackentferner, Schaber und Spraydose.
Die Rentnerin leistet ihr Engagement seit fast 30 Jahren - und wurde dafür bereits mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Die Bundesverdienstmedaille, der Göttinger Friedenspreis oder das »Band für Mut und Verständigung« des Senats sind darunter zu finden. Eine Liste mit neun Auszeichnungen von 1994 bis 2015 hatte die auch als »Politputzerin« bekannte Aktivistin nun ungläubig einem Richter übergeben.
Am Mittwoch saß die frühere Erzieherin und Heilpädagogin wegen »Sachbeschädigung« vor dem Berliner Kammergericht. Im Mai hatte Mensah-Schramm im Bezirk Steglitz-Zehlendorf den von Rechtspopulisten bekannten Schriftzug »Merkel muss weg!« in einem Fußgängertunnel entdeckt. »Man kann ja von Merkel halten was man will, aber so eine Sprache senkt die Hemmschwelle für Gewalt«, sagt die Rentnerin dem »nd«. Mensah-Schramm änderte kurzerhand die Parole mit pinker Farbe in »Merke! Hass weg!«. Jemand rief die Polizei - es folgten Strafbefehl, Berufung und ein Verhandlungstermin.
Im Gerichtssaal war eine junge Staatsanwältin dann offenbar der Meinung, Mensah-Schramm eine Lektion erteilen zu müssen. »Suchen Sie sich eine andere Art der Meinungskundgebung«, forderte die Juristin in ihrem Abschlussplädoyer. Was die Rentnerin betreibe, hätte »keine Vorbildfunktion«. Als der Richter fragte, ob man das Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellen könne, verneinte die Juristin. Selbst die Gerichtssprecherin war von ihrer Hartnäckigkeit überrascht.
»Die Staatsanwältin wollte mich verknacken, der Richter den Prozess eigentlich einstellen«, sagt Mensah-Schramm. »Zum Schluss hat man sich auf ein salomonisches Urteil geeinigt.« Die 70-Jährige bekommt eine Verwarnung und wird zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt. Falls sie in den nächsten zwölf Monaten wieder erwischt wird, muss sie 1800 Euro zahlen. Der Richter erklärte in seiner Begründung, Mensah-Schramm habe das Graffiti mit ihrer Verfremdung größer gemacht als zuvor. Ein Buchstabe und ein Herz würden über das ursprüngliche Bild hinausreichen. Die Sprecherin des Kammergerichtes erklärte fast entschuldigend: »Der Schuldspruch ist so milde wie möglich ausgefallen.«
Mensah-Schramm ist eine tief überzeugte - und auch konsequente - Aktivistin. Sie gab ihr Bundesverdienstkreuz zurück, als sie erfuhr, dass der ehemalige CDU-Politiker Heinz Eckhoff ebenfalls geehrt werden sollte. Eckhoff, so MensahSchramm, sei ein SS-Mitglied gewesen. Anfang September beendete sie die Patenschaft für eine Schule, da diese sich aus ihrer Sicht zu wenig gegen Rassismus eingesetzt hatte. Auch von dem Urteil des Kammergerichts will sich die 70-Jährige nicht beeindrucken lassen. »Ich warte jetzt die schriftliche Urteilsbegründung ab, und dann gehe ich in Berufung.«
Von den Behörden ist die »Politputzerin« enttäuscht. Rassistische und menschenverachtende Schmierereien würden in der Öffentlichkeit oft geduldet. »Ich habe wegen einem Hakenkreuz in Rudow dreimal die Polizei angerufen«, sagte Mensah-Schramm. »Passiert ist jedoch definitiv nichts.« Die Behörden hätten ihr später erklärt, dass sie Material von Gruppen, die nicht verboten sind, nicht beschädigen darf. »Das ist doch lächerlich«, so die 70-Jährige. »Wenn ich rassistische Inhalte finde, entferne ich die natürlich.«
Mensah-Schramm hat trotz der Gerichtsentscheidung vor, mit ihrem Engagement weiterzumachen. »Ich gehe dafür auch ins Gefängnis«, sagt sie und erwähnt als Vorbild Rosa Luxemburg. Die Rentnerin muss lachen. »Ich habe schon lange keinen Urlaub mehr gehabt.«
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