Hilflose Berserker
Das Festival »Die Ästhetik des Widerstands - Peter Weiss 100« im HAU
Mit einer Vergewisserung historischer Kämpfe im erhaben Schönen beginnt Peter Weiss› »Ästhetik des Widerstands«. 1937 lässt er eine Gruppe kommunistischer Arbeiter aus den Reliefs des Pergamon-Altars den Aufstand der Giganten gegen die Götter herauslesen. Es war eine dreifache Operation: Die Aneignung bürgerlicher Ästhetikkonzepte durch Proletarier, das Wiedererkennen sozialer und politischer Kämpfe in einem entkontextualisierten Stück behauenen Marmors und eine Rückbesinnung auf Kultur in Zeiten zivilisatorischer Finsternis, die ästhetisch eben auch durch Antikenvergröberung gekennzeichnet war.
Beim zehntägigen Festival »Die Ästhetik des Widerstands - Peter Weiss 100« (bis 8.10.), ausgerichtet von den HAU-Bühnen zum 100. Geburtstag des Filmemachers und Schriftstellers, folgten manche der eingeladenen Künstler ganz direkt dieser Suchbewegung. Die Truppe um den chilenischen Regisseur Guillermo Calderon grub etwa Protagonisten der Widerstandsbewegung gegen die Pinochet-Diktatur wieder aus. In »Mateluna« rekonstruierte sie eine Untergrundakademie, in der Jugendliche im Bombenbau ausgebildet wurden. Heroische Zeiten, würdig eines, sagen wir: Santiago-Altars - mit dem Unterschied, dass die Ereignisse noch nicht so weit zurückliegen, als dass sie von Bildhauern des Establishments an repräsentativer Stelle aus dem Stein gemeißelt werden dürften.
Als schwieriger stellte sich der Widerstandstransport in die Post-Pinochet-Ära heraus. Protagonist Jorge Mateluna, der seinerzeit als »jüngster politischer Gefangener der Pinochet-Diktatur« gewisse Prominenz erlangte, bildete in den 90er Jahren offenbar als Widerstandsveteran in besetzten Häusern junge Leute im Bombenbau aus. Die neuen Schüler wiesen aber nicht die Unbedingtheit und Entschlossenheit der alten auf und trieben den Explosions-Coach zur Verzweiflung. Der Held ist isoliert, die alten Mittel wirkungslos.
Ähnlich geht es jenen Künstlern, die sich auf der zweiten Weiss‹schen Spur bewegen. Als neue Ästhetik bejubelte Weiss den russischen Konstruktivismus von Tatlin und Malewitsch, die experimentellen Filme Eisensteins und Majakowskis Poeme. Die sind heute allerdings als klassisch anerkannt - und politisch entschärft. Wer heute rebelliert, muss auch dagegen rebellieren.
Daher haben sich der kroatische Regisseur Oliver Frljic und der Chilene Marco Layera den postmodernen Kunst- und Diskurs-Connoisseur als Zielscheibe ausgesucht. Layera lässt in »Die Diktatur der Coolness« den frisch gewählten neuen Kulturminister Amok gegen die durchaus experimentell eingestellte Kulturschickeria laufen, der er selbst entstammt. Man darf sich das wie einen Christoph Schlingensief vorstellen, der, sich an die Radikalität seiner frühen Filmemacherjahre erinnernd, Wegbegleiter wie Carl Hegemann im Pool ersäuft und Förderer wie Hortensia Völckers vergewaltigt; so geht die bildnerische Drastik Layeras.
Frljic legt noch eine Schippe drauf. »Unsere Gewalt und eure Gewalt« ist eine einzige Anklage der abendländischen Kriegstheaterzuschauergemeinde, die darin gipfelt, dass ein Jesus vom Kreuz herabsteigt und eine Muslima vergewaltigt.
Bezeichnend ist die Hilflosigkeit der Berserker. Frljic wie Layera setzen an den dramaturgischen Höhepunkt ihrer Produktionen Gewaltakte gegen Frauen - und folgen dabei den allabendlichen »Tatort«-Vergewaltigungen. Transgression und Tabubruch können von dieser Klasse Künstler offenbar nur so erzählt, reproduziert und gesampelt werden. »Fuck off!« möchte man rufen.
Einen Schritt weiter war die moldauische Regisseurin Nicoleta Esinencu. Mit Hilfe der Facebook-Korrespondenz der ukrainischen Künstlerin Alevdina Khakidze mit deren Mutter rekonstruiert sie in »Life« den Alltag in der Ostukraine. Trotz des Krieges geht die Mutter stoisch in ihre Gartenparzelle. Sie passiert dabei Kontrollpunkte, verkauft Blumen und Gemüse, wechselt von ukrainischen Griwni in russische Rubel und denkt sogar daran, ihre Stromrechnungen zu bezahlen - obwohl der Strom oft ausfällt und das Geld inzwischen direkt beim politischen Gegner landet. Esinencu schildert einen pragmatischen Heroismus. Sie zeigt eine Frau, die sich gegen politische Erhitzungen recht gut immunisiert hat und die Qualität des Lebens an dem bemisst, was funktioniert. Der Krieg wird dadurch auch kleiner; Esinencus Truppe erzeugt den Klang von Geschützfeuer mit Hilfe akustisch verstärkter Haushaltsgeräte.
Ästhetik des Widerstands ist vielleicht tatsächlich, den monotonen Spuren von Krieg nachzugehen, zu zeigen, was Artilleriesalven jeden Morgen anrichten, aber auch wie banal und wenig fernseh-bunt das Ganze ist.
Verdienst des Festival ist es, zu Re-Lektüren der »Ästhetik des Widerstands« angeregt zu haben. Von der Peter Weiss umtreibenden Frage nach einer vereinten revolutionären (Arbeiter-)Klasse waren Künstler und Publikum mangels eines geeigneten revolutionären Großsubjekts aber meilenweit entfernt. Diesen Mangel machte das Festival noch einmal schmerzlich bewusst.
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