»Schutzhaft« für Flüchtlinge?

Trotz gelungener Anti-Terror-Operation fordert die Union erneut Gesetzesverschärfungen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ludwig muss weg« und »Abschieben« skandierte die Menge. Brüllender Hass gegen die von der SPD gestellten Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig und Schutz suchende Flüchtlinge entlud sich am Montagabend im Heckert-Wohngebiet. Bereits am Samstag hatte die Bürgerbewegung »Pro Chemnitz« zur »Demonstration gegen den Terror« vor der Wohnung des Möchtegern-Attentäters Dschaber al-Bakr aufgerufen. Die Rechtsaußentruppe um Stadtrat Karl Martin Kohlmann – der ist Rechtsanwalt und ehemaliges Mitglied der Republikaner – sah auch nach der Auslieferung des Terrorverdächtigen durch syrische Landsleute in Leipzig keinen Grund zur Mäßigung. Der Mann mit dem Sprengstoff sei kein Verrückter, er habe nur die Unfähigkeit der deutschen Regierung ausgenutzt, die Grenzen zu schützen.

Seltsam, eine letztlich gelungene Anti-Terror-Operation führt zu Forderungen nach schärferen Gesetzen. Dass lässt sich aber erklären. Angesichts rechter Bürgerbewegung und sinkender Umfragewerten für die sogenannte bürgerliche Mitte versuchen insbesondere Politiker aus den Unionsparteien den Spagat nach Rechtsaußen. Allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel. Während ihrer Afrikatour dankte die CDU-Chefin nicht nur für die Wachsamkeit der Behörden. Es müsse alles Menschenmögliche getan werden, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Und dazu, so Merkel, könnten auch Gesetzesänderungen nötig sein.

Die Schwesterpartei CSU verlangte bereits wenige Stunden nach der Festnahme des mutmaßlichen IS-Parteigängers mehr Personal für den Verfassungsschutz, eine intensivere Kontrolle der Flüchtlinge. Doch das reicht den Bayern-Schwestern nicht. Finanzminister Markus Söder brachte sogar eine Volksabstimmung über die Flüchtlingspolitik ins Gespräch. Zugleich forderte die CSU einen härteren Umgang mit sogenannten Gefährdern. So will der Unionsobmann im Bundestagsinnenausschuss, Armin Schuster (CDU), dass »polizeiliche Gefahrenabwehr im Asylverfahren eine größere Rolle spielen« müsse.

Das Innenministerium hat den »Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« längst fertiggestellt. Darin heißt es: »Haft zur Sicherung der Abschiebung« sei anzuordnen, wenn von einem Flüchtling »eine erhebliche Gefahr« ausgeht. Eigentlich bedarf es da einer Änderung in der Strafprozessordnung, doch die will die Union umgehen, indem sie lediglich eine Änderung bei Abschiebeverfahren im Bereich des Innenministeriums verfügt. Dummerweise braucht es aber auch dafür eine Abstimmung mit dem Justizressort. Doch Minister Heiko Maas von der SPD will diese Rechtsverbiegung nicht mitmachen.

Bei dringendem Tatverdacht können und müssen Menschen angeklagt und inhaftiert werden, das sei geltendes Recht, erklärt dazu der Linksfraktionsvize Jan Korte. Wer jedoch »Menschen aufgrund ihrer Gesinnung oder eines allgemeinen Verdachts einsperren will, der missachtet nicht nur Bürgerrechte und Unschuldsvermutung, sondern auch alle Lehren aus unserer Geschichte.« Er rät der Union, solche Ideen »ganz zügig wieder zu begraben«. Kortes Fraktionskollegin Ulla Jelpke bringt das Unionsansinnen auf einen historisch nachvollziehbaren Begriff. Sie spricht von »Schutzhaft«, die der Verfassung widerspreche.

»Es wäre falsch, Hunderttausende Menschen, die vor Krieg und Terror nach Deutschland geflüchtet sind, jetzt unter Generalverdacht zu stellen«, stellte auch der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) fest. Zuvor hatten bereits Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, sein Innenressortchef Joachim Herrmann sowie CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer eine strengere Überprüfung von Flüchtlingen gefordert. Auch all diejenigen, die bereits im Land seien, müssten »auch unter Beiziehung unserer Nachrichtendienste« überprüft werden, fordert Seehofer. CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl will da Nägel mit Köpfen machen und verlangt einen Abgleich der Asylsuchenden »mit allen international verfügbaren Datenbanken über Terrorverdächtige«. Die Nachrichtendienste müssten »endlich vollautomatisch Zugang zur Kerndatenbank« der Asylsuchenden bekommen.

Das ist Wasser auf die Mühlen von Hans-Georg Maaßen. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz gab im ZDF zwar zu, dass das im vorliegenden Fall nicht geholfen hätte, aber »in anderen Fällen kann das schon notwendig sein«.

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