Erzieher fordern Aufwertung
Gewerkschaften für Angleichung der Gehälter an Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes
Tobias Albrecht steht am Dienstagmorgen im Nieselregen vor der Senatsbildungsverwaltung. Er ist Erzieher im zweiten Jahr an der Lichtenberger Berhard-Grzimek-Grundschule und hat schon mehr als einmal darüber nachgedacht, in Brandenburg zu arbeiten. Denn dort würde er deutlich mehr verdienen als in Berlin. Nach ein paar Jahren wächst der Gehaltsunterschied auf bis zu 400 Euro brutto pro Monat. Bei den für den Kinderschutz verantwortlichen Mitarbeitern des Regionalen Sozialen Dienstes (RSD) sind es sogar 500 Euro brutto.
150 Erzieher und Sozialarbeiter sind dem Aufruf der Gewerkschaften GEW und ver.di gefolgt und beteiligen sich an der Protestaktion. »Wir wollen einfach dasselbe verdienen, wie die Erzieherinnen und Erzieher in anderen Teilen Deutschlands«, sagt Roswitha Stiehl, die ebenfalls an der Bernhard-Grzimek-Schule arbeitet. »Die Anforderungen an unseren Beruf sind stark gestiegen in den letzten Jahren«, sagt sie. Die Löhne sind es aber nicht.
Während in ganz Deutschland Mitarbeiter des Sozial- und Erziehungsdienstes eine Aufwertung anstreben - dafür wurde im Sommer 2015 fünf Wochen lang gestreikt - liegen die Löhne in Berlin noch einmal deutlich unter denen der anderen Bundesländer. Der Grund: Hier werden die 15 000 öffentlich Beschäftigen des Sozial- und Erziehungsdienstes nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) bezahlt. In den Kommunen der Bundesländer hingegen findet der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) Anwendung.
Die Berliner GEW-Vorsitzende Doreen Siebernik fordert deshalb die »wert- und inhaltsgleiche Übertragung des Ergebnisses aus der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes für den Sozial- und Erziehungsdienst auch in Berlin«. Der neue Senat soll sich in der anstehenden Tarifrunde der Länder, bei der der TV-L neu verhandelt wird, dafür einsetzten. Diese beginnt voraussichtlich im Januar 2017 und Berlin wird als Arbeitgeber mit am Verhandlungstisch sitzen. Bärbel Jung, GEW-Referentin für Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit, erklärt auf Nachfrage des »nd«: »Wenn von den Arbeitgebern keiner das Thema auf die Tagesordnung setzt, dann haben wir als Gewerkschaften natürlich viel schlechtere Karten.«
Viele Kolleginnen und Kollegen sind zunehmend ungeduldig. »Wir fordern diese Aufwertung schon seit zwei Jahren«, sagt Christiane Meyer, Personalratsvorsitzende im Lichtenberger Bezirksamt und ver.di-Mitglied. Ob sie Hoffnung habe, dass in den Koalitionsverhandlungen das Thema berücksichtigt wird? Christiane Meyer lächelt. »Wir sind noch so froh gestimmt, dass wir nichts unversucht lassen.«
Schon vor vier Wochen standen die Erzieher und Sozialarbeiter vor der Senatsbildungsverwaltung, um die Forderungen an die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) heranzutragen. Jetzt sind sie erneut da, um daran zu erinnern. Denn in dieser Woche werden die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und der LINKEN fortgesetzt. Alle drei Parteien haben sich im Wahlkampf für eine bessere Bezahlung von Erziehern und Sozialarbeitern ausgesprochen.
Scheeres selbst ist am Dienstagmorgen nicht erschienen. Sie hat ihre Staatssekretärin Sigrid Klebba geschickt. Diese nimmt stellvertretend einen Brief der Gewerkschaften entgegen - und auch ein kleines Pfeifkonzert. Als sie sagt, der Protest sei für sie »Rückenwind für die anstehenden Verhandlungen«, sagt Siebernik, dass »den Worten jetzt auch mal Taten folgen müssen«.
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