Der Sturm auf Mossul steht bevor ...
... doch ein großer Teil der Stadtbevölkerung fürchtet die »Befreier« mehr als den IS
Immer wieder war von der irakischen Regierung seit dem Frühjahr die Wiedereroberung von Mossul angekündigt worden. Die mit 2,9 Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt des Landes wurde vor zwei Jahren von Milizen des Islamischen Staates (IS) überrannt. Die genauen Umstände sind unklar; vor allem deshalb, weil es kein Ruhmesblatt für die irakische Armee war. Damals hatten wenige tausend IS-Kämpfer etwa 10 000 Angehörige der irakischen Armee in die Flucht geschlagen, unter Zurücklassung sämtlicher schwerer Waffen. Auch hochwertige Nachrichtentechnik aus den USA und die Bargeldeinlagen der Banken wurden damals eine Beute des IS.
Dieser befindet sich im laufenden Jahr überall auf dem Rückzug, und die Angreifer sind zahlreich. Es handelt sich dabei um die reorganisierte irakische Armee, eine auf inzwischen 5000 Mann angewachsene US-amerikanische Truppe von vor allem Beratern und Ausbildern, irakisch-kurdische Peschmerga-Einheiten, irakisch-schiitische Milizen, Verbände assyrischer Christen und nicht zuletzt mehrere tausend Mann zählende reguläre türkische Streitkräfte. Dazu kommt die hoch überlegene, von den Dschihadisten unangreifbare US Air Force mit Kampfflugzeugen und mordenden Drohnen.
Der IS sollte angesichts dieser Übermacht dieses Mal wenig Chancen haben. Doch seine Gegner sind alles andere als eine Allianz. Offenbar gibt es weder ein Oberkommando noch ein abgestimmtes Vorgehen. Im Gegenteil. Es dominieren scharfe verbale Attacken, vor allem zwischen Ankara und Bagdad. Um das Fell des noch nicht erlegten Bären wird heftigst gestritten. Die ölreiche Region Mossul liegt nahe an der von der Zentralregierung in Bagdad nur geduldeten, nicht anerkannten kurdischen Autonomie im Norden, und das weckt dort Begehrlichkeiten.
Noch größer sind allerdings jene des wiedererstarkten Mannes vom Bosporus. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der gegen den Willen Bagdads Truppen in Irakisch-Kurdistan stationiert hat, möchte allein bestimmen, wer in Mossul einmarschiert und dort bleiben darf. Die irakische Regierung wird dabei demonstrativ ignoriert. Als das türkische Parlament vor wenigen Tagen das Einsatzmandat für die Armee in Irak - und auch in Syrien - um ein Jahr verlängert hatte, ohne sich um die Meinung der Regierungen in Bagdad - und in Damaskus - zu kümmern, protestierte der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi. Er forderte den Abzug der türkischen »Besatzungstruppen«.
Die Entgegnung, gegeben am Dienstag in Istanbul vor Religionsgelehrten, erfolgte in typisch Erdoganscher Manier. »Benimm dich!«, herrschte Erdogan vor seinem Auditorium den nicht anwesenden Abadi an. »Du bist sowieso nicht mein Ansprechpartner, du hast nicht meinen Rang, du bist nicht mein Kaliber, du hast auch nicht meine Qualität.« Und Erdogan legte nach. Schiiten oder Kurden sollten sich an der Befreiung Mossuls gar nicht beteiligen.
Damit traf er einen wunden Punkt der Iraker. Es kann nämlich überhaupt nicht als ausgemacht gelten, dass die sunnitische Bevölkerungsmehrheit von den Bagdader Schiiten »befreit« werden möchte. Ihre Truppen gelten als rachsüchtig und dabei als ebenso extrem wie die IS-Kämpfer. Besonders unrühmlich tat sich die Miliz »Al-Haschd al-Schaabi« hervor. Die »Volksmobilmachungskräfte« hatten im Sommer dieses Jahres nach der Eroberung der Stadt Falludscha Erschießungskommandos zusammengestellt und zahlreiche Zivilisten massakriert.
Abadi hat nun erklärt, er werde derartige Übergriffe verhindern. Doch selbst wenn es ernst gemeint war - weder Kurden noch Sunniten wollen sich mit ihm einlassen. Zu verhasst haben sich die Schiiten wegen der Verbrechen ihrer Haschd-Milizen gemacht. Freie Bahn also für die Türken? Mit dem Kampf um Mossul deutet sich eine Fülle neuer Konflikte an.
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