Streit über den Brexit-Auslöser

Vor einem Gericht in London soll geklärt werden, ob die britische Regierung im Alleingang Artikel 50 des EU-Vertrages aktivieren darf

  • Sascha Zastiral, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Ist Premierministerin Theresa May befugt, im Alleingang den Austritt Großbritanniens aus der EU einzuleiten? Vor einem Gericht in London hat am Donnerstag ein Verfahren begonnen, das diese Frage klären soll. In Gang gesetzt hat es eine Gruppe von Klägern, die sich daran stört, dass May plant, Artikel 50 des EU-Vertrages - mit dem die Austrittsverhandlungen aus der EU formell beginnen - zu aktivieren, ohne das Parlament vorher darüber abstimmen zu lassen.

David Pannick, einer der Anwälte der Kläger, erklärte vor Gericht, eine Aktivierung des Artikels 50 ohne Einbeziehung des Parlaments würde die Menschen in Großbritannien »ihrer Rechte berauben«. Pannick wies Vorwürfe zurück, wonach die Klage das Ziel habe, den Brexit zu verhindern. Seine Klägerin habe jedoch »ein Recht darauf, dass die Schritte, die eingeleitet werden, rechtmäßig erfolgen.«

Viele Brexit-Gegner sind wütend über die Klage. Seit deren Bekanntwerden im Sommer haben sich mehrfach Demonstranten vor der Kanzlei Mishcon de Reya in London versammelt. Deren Juristen wurden - zum Teil antisemitisch - beschimpft und bedroht. Die Regierung beruft sich auf ein königliches Prärogativrecht, das aus dem Mittelalter stammt und Monarchen das Recht gab, Entscheidungen im Alleingang zu treffen.

Die beiden Hauptkläger sind die Investmentmanagerin Gina Miller und Deir dos Santos, eine Friseurin. Beide sind britische Staatsbürger. Miller sagte in einem Interview, die Klage solle nicht dazu dienen, die Entscheidung des Referendums außer Kraft zu setzen. Auch im Parlament formiert sich Widerstand gegen den geplanten Alleingang der Regierung. Bei den »Prime Minister’s Questions«, der Regierungsbefragung im Unterhaus, wies May am Mittwoch erneut Forderungen nach einer Abstimmung im Parlament zurück. Die Abgeordneten könnten jedoch ihre Strategie »diskutieren, debattieren und hinterfragen«.

Doch viele Abgeordnete sehen das anders. Angeführt werden sie von der oppositionellen Labour-Partei. Brexit-Schattenminister Keir Starmer sagte, er habe akzeptiert, dass es ein Mandat für einen EU-Austritt gebe. »Aber es gibt kein Mandat für die Bedingungen. Das ist dem Land nie zur Abstimmung vorgelegt worden.« Auch in den Reihen der konservativen Partei fordern immer mehr Abgeordnete, dass das Parlament in die Brexit-Entscheidungen der Regierung eingebunden wird. Die Abgeordnete Claire Perry warf May vor, sie stellte »enge ideologische Interessen« über die nationalen Interessen, indem sie dem europäischen Binnenmarkt den Rücken zukehre. Sogar einige Brexit-Befürworter kritisieren das Vorgehen der Regierung.

Unterdessen kündigte angesichts des drohenden Brexit die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon an, die Bürger erneut über eine Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien abstimmen zu lassen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf werde kommende Woche vorgelegt, sagte sie am Donnerstag zum Auftakt des Parteitags ihrer Schottischen Nationalpartei in Glasgow. Kommentar Seit 4

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