Weltstadt Westberlin

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 2 Min.

Neulich fragte mich eine nette Kollegin, ob ich schon mal im »Big Eden« gewesen sei, in dieser Disko auf dem Kurfürstendamm, die in den 80ern diese auffällige Werbung im SFB-Fernsehen platziert hatte. Das sei ihr Laden gewesen. Ja, sagte ich zu ihr, denn für mich als Klubgaststättenkunden des Ostens musste dieser Keller in Charlottenburg als Westberliner Nummer 1 gelten. Deshalb musste ich da drin gewesen sein.

»Big Eden«, das hieß für mich: flackernde Diskokugeln, lachende Blondinen und internationaler Yuppie-Nachwuchs. Spätestens zur Wende hätte ich etwas Feldforschung betreiben können, doch ich war die gesamten 90er über in keiner Westberliner Diskothek, denn stumpfsinnige Musik und bekloppte Weiber waren schon in der Zone keine Mangelware.

Doch kurz nach dem Millennium sollte es endlich soweit sein, ich hatte mich von einigen Bekannten zu einem überfallartigen Ausgang ins »Big Eden« hinreißen lassen. Krach nach Mitternacht war angesagt, ein Konzert mit der Slayer-Cover-Band namens Hanns-Martin-Slayer und ähnliche Programmpunkte. Keine richtige Disko, nun gut.

Zur vereinbarten Zeit traf ich meine Freunde vor dem heißen Laden, der inzwischen in andere Hände übergegangen war. An der Kasse sagten wir das Losungswort »Kuckuck« und kamen für 2 Euro rein. Das »Big Eden« war Gerüchten zufolge von einigen Szenezombies übernommen worden, die diese Prachtmeile einst abfackeln wollten. Doch seitdem in Charlottenburg und anderswo zunehmend der Verfall vom Kurfürstendamm beklagt wurde, fühlten sich die augenscheinlichen Kreuzberger dort wohl.

Ich war im »Big Eden« gewesen, sagte ich zu meiner Kollegin, aber irgendwie doch nicht. Das Publikum sah an jenem Abend so aus wie auf den meisten Schrammelkonzerten: schwarz und verhuscht, bunt und ungesund. Auf der Bühne wurde David Bowie per Videobeamer gezeigt. Es war von der Atmosphäre her so, wie ich mir das Westberlin von vor 20 Jahren vorgestellt hatte. Hinter der Bar befand sich eine Art Wandvitrine, in der diverser Schnickschnack ausgestellt wurde: eine Champagnerflaschengalerie, einige Pokale der Misswahlen der letzten Jahrzehnte und ein paar Luxuskarren als Modellbauausgaben. Irgendwie fehlte mir in der Mitte vom Schaukasten jedoch eine Büste von Rolf Eden. Nach Hanns-Martin-Slayer traten zwei Punkrock-Fliegengewichte auf, die zusammen vielleicht 60 Kilo wogen und sich Electrocute nannten. Einige Go Go Girls aus alten Tagen alberten auf einer Spielwiese herum, eine asiatische Touristengruppe flüchtete.

Ich würde mit dir ins »Big Eden« gehen, sagte ich zu meiner Kollegin, wenn es wieder öffnen würde. Die Chance ist zumindest größer als die, dass meine Neubauviertelkinderdisko »Schillerglocke« wieder aufmacht.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.