Juso-Chefin: Erst Programm, dann Kandidat

Johanna Uekermann im Gespräch über soziale Gerechtigkeit, die SPD und Alternativen nach der Bundestagswahl 2017

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 6 Min.

Wie sollte die zentrale Botschaft der Sozialdemokraten im Bundestagswahlkampf 2017 lauten?

Wir wollen den Fokus auf Gerechtigkeit legen. Im nächsten Wahlprogramm wollen wir als SPD-Linke deutlich machen, dass wir uns für gute Arbeit und den sozialen Zusammenhalt einsetzen.

Voraussetzung dafür wäre eine Politik der Umverteilung.

Richtig. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Sowohl Vermögen als auch Chancen sind in unserer Gesellschaft sehr ungerecht verteilt. Wir Sozialdemokraten müssen das ändern.

Wollen Sie an der Forderung festhalten, die Vermögensteuer wiederzubeleben und den Spitzensteuersatz deutlich anzuheben?

Ja, beide Forderungen liegen uns Jusos am Herzen. Außerdem setzen wir uns für Nachbesserungen bei der Erbschaftsteuer ein. Der zwischen Bund und Landesregierungen geschlossene Kompromiss geht uns nicht weit genug. Uns geht es dabei nicht nur um mehr Steuergerechtigkeit. Wir brauchen auch zusätzliche staatliche Einnahmen für Investitionen. Mehr Geld sollte etwa in den Bildungsbereich, die kostenlose Kinderbetreuung und die Instandhaltung von Straßen, Schienen und digitaler Infrastruktur gesteckt werden.

Große Investitionen werden auch in der Integrationspolitik notwendig sein. Wie sollte sich die SPD zum Umgang mit Flüchtlingen und Einwanderern positionieren?

Das Asylrecht darf nicht eingeschränkt werden. Schutz suchenden Menschen sollten wir Schutz gewähren. Andererseits müssen wir auch klar machen, dass Integration nur dann gelingt, wenn die Menschen, ganz gleich woher sie kommen, die gleichen Rechte und die gleichen Chancen erfahren. Das ist durch gute Bildung und einen Ausbau der Sprach- und Integrationskurse möglich. Zudem sollten Flüchtlinge sofort einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.

Das klingt anders als ein Papier des Seeheimer Kreises in der SPD-Bundestagsfraktion für mögliche Schwerpunkte im Bundestagswahlkampf. Darin heißt es etwa, dass in der Flüchtlingspolitik die Sicherung der europäischen Außengrenzen elementar sei und diese mit allen notwendigen Mitteln gefördert werden sollte.

Ich halte nichts davon, Geflüchtete zu bekämpfen. Wir müssen vielmehr etwas gegen die Fluchtursachen tun.

Sind die Jusos für offene Grenzen für Flüchtlinge oder präferieren Sie Kontingente?

Wir setzen uns für beides ein. Jeder Asylsuchende soll die Möglichkeit haben, hier einen entsprechenden Antrag zu stellen. Da darf es keine Einschränkungen geben. Zugleich denke ich, dass ein Land auch im Rahmen von bestimmten Kontingenten von Schutzsuchenden seiner Verantwortung gerecht werden kann.

Zur Steuerung von Migration wird von vielen Sozialdemokraten ein Einwanderungsgesetz gefordert. Wie stehen Sie dazu?

Ich denke, dass ein Gesetz notwendig ist, um die Einwanderung zu vereinfachen. Aber dieses sollte sich nicht auf die Nützlichkeit von Migranten für die deutsche Wirtschaft konzentrieren. Ein Einwanderungsgesetz sollte vielmehr Chancen auf Zuwanderung jenseits des Asylrechts schaffen.

Das Thema führt zu einer anderen Frage: Wie alle etablierten Parteien hat die SPD Wähler an die rechte AfD verloren. Können diese Menschen zurückgewonnen werden?

Wir müssen als SPD klar machen, dass wir allen Menschen hier ein gutes Leben ermöglichen wollen. Dabei geht es beispielsweise um Fragen der Alterssicherung, der Löhne, der Gesundheitsversorgung und um die Sicherheit, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Wenn wir darauf Antworten finden, können wir den Menschen Sorgen und Abstiegsängste nehmen. Auf keinen Fall dürfen wir aber Zweifel daran aufkommen lassen, dass wir für eine vielfältige und offene Gesellschaft streiten.

Ein prominenter Gast beim Kongress der Parteilinken ist EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. In der SPD wird derzeit diskutiert, ob er anstelle von Parteichef Sigmar Gabriel ein geeigneter Kanzlerkandidat wäre. Würden Sie ihm das zutrauen?

Wir wollen mit Martin Schulz über die internationale Lage reden. Es gibt viele Krisen und Konflikte. Das Weltgeschehen rückt immer näher an die Menschen hier heran. Martin Schulz ist ein profilierter europäischer Politiker, mit dem man hervorragend über Lösungen diskutieren kann. Deswegen haben wir ihn eingeladen.

Meine Frage steht trotzdem weiter im Raum. Würden Sie es begrüßen, wenn Martin Schulz in die Bundespolitik wechseln und dort eine herausgehobene Rolle spielen würde?

Mir geht es jetzt darum, dass wir als SPD-Linke wichtige programmatische Impulse setzen. Das ist zurzeit wichtiger, als über Personalfragen zu diskutieren.

Vor dem Bundestagswahlkampf 2013 waren von Vertretern des linken Flügels zu Personalfragen ebenfalls zurückhaltende Statements zu hören. Nach der Wahl gab es dann Klagen, dass der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nicht zu dem eher linken Wahlprogramm gepasst habe. Könnten 2017 ähnliche Probleme drohen?

Nein, das denke ich nicht. Deswegen wollen wir auch erst über das Programm reden und uns dann den passenden Kandidaten dazu aussuchen.

Sie waren eine der schärfsten internen Kritikerinnen, als sich die SPD 2013 für den Gang in die Große Koalition entschieden hat. Haben Sie den Eindruck, dass in der Partei insgesamt die Abneigung gewachsen ist, die Zusammenarbeit mit der Union im nächsten Jahr fortzusetzen?

Die gemeinsamen Projekte, welche die SPD mit Müh und Not mit der Union durchgesetzt hat, sind inzwischen erschöpft. Von der Großen Koalition ist nicht mehr viel zu erwarten. Immer mehr Menschen in der SPD wird nun klar, dass wir andere Mehrheiten suchen müssen, wenn wir sozialdemokratische Politik durchsetzen wollen. Als SPD-Linke machen wir uns deswegen schon lange für die rot-rot-grüne Option stark. Und nun bewegen sich da auch andere. Das sieht man an den jüngsten Statements des Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann und des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel.

Gegen Rot-Rot-Grün sprechen allerdings die unterschiedlichen Haltungen der Mitte-links-Parteien in der Sozial- und Außenpolitik. In welchen Bereichen sollte die SPD auf ein Entgegenkommen der Linkspartei pochen?

Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass man sich innerhalb von Rot-Rot-Grün auf Projekte einigt, die für mehr Gerechtigkeit sorgen. Dabei sollte es um Steuergerechtigkeit gehen, eine den Lebensstandard sichernde Rente und Verbesserungen für Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe da etwa junge Auszubildende im Blick oder auch Beschäftigte, die in Zeitarbeit feststecken. Zudem wären die eben genannten Investitionen in die Zukunft, gegen die sich die Union vehement sperrt, mit Linkspartei und Grünen möglich. Wenn man sich darauf einigen kann, sehe ich gute Voraussetzungen für Rot-Rot-Grün.

Mir geht es aber auch um die problematischen Bereiche. Wie könnten sich die Parteien etwa bei den Hartz-IV-Gesetzen und den Auslandseinsätzen der Bundeswehr einigen? Wäre es denkbar, dass die SPD hier auf die Linkspartei zugeht?

Wir Jusos setzen uns in der SPD dafür ein, dass Hartz-IV-Sanktionen abgeschafft werden, insbesondere verschärfte Sanktionen für junge Leute. Was die Außenpolitik angeht, so hoffe ich, dass sich in der Linkspartei diejenigen durchsetzen werden, die eine zurückhaltende, aber auch verantwortungsvolle Rolle präferieren.

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