Kein Sonderermittler für RAW-Areal
Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hat mehr versprochen als gehalten
»Die Einsetzung eines Staatsanwalts als Sonderermittler hinsichtlich der unhaltbaren Zustände am RAW-Gelände in Friedrichshain-Kreuzberg vor allem in den vergangenen Monaten begrüßen wir uneingeschränkt.« So freudig hatte sich Kurt Wansner, CDU-Abgeordnetenhausmitglied aus Friedrichshain-Kreuzberg, im Mai geäußert. Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hatte mitgeteilt, dieser habe seine Arbeit schon aufgenommen. Nun kommt heraus: Einen Sonderermittler für den Kiez rund um die Revaler Straße hat es nie gegeben.
»Es gibt einen Oberstaatsanwalt, der die Verfahren koordiniert, aber der ist kein Sonderermittler«, bestätigt Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, auf nd-Anfrage. »Der fungiert als eine Art Trichter und Filter«, sagt Claudia Engfeld, Sprecherin der Justizverwaltung. Wenn etwa jemand erstmals als Taschendieb oder wegen Körperverletzung auffällt, geht die Sache den normalen Justizweg mit langer Bearbeitungszeit und meist milden Strafen. Mehrfachtätern soll eine größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. So zumindest der Plan. Informationen dazu gibt es bisher nicht.
Anlass für die Aktivität Heilmanns war eine von mehr als 3000 Anwohnern unterzeichnete Onlinepetition, die von der Kiezinitiative »Die Anrainer« gestartet worden war. In der am 23. Mai an Innensenator Frank Henkel (CDU) übergebenen Petition wurden unter anderem mehr Polizisten und eben ein Sonderermittler gefordert. Man sei sich bewusst, dass die Petition die »hochkomplexe Thematik« verkürze, wolle aber Lösungen in absehbarer Zeit, sagte Karola Vogel, Sprecherin der »Anrainer«, damals. Besucher und Bewohner der Ausgehmeile klagen seit Jahren über überbordende Kleinkriminalität.
»Die zügige Erfüllung einer der Forderungen unserer Petition hatte uns im Mai selbst überrascht«, sagt Vogel rückblickend. »Diese Woche aber haben wir über unseren Polizeiabschnitt erfahren, dass es diesen Sonderermittler für den Kriminalitäts-Hotspot in unserem Kiez gar nicht gibt oder er oder sie der Polizei jedenfalls nicht bekannt ist«, so die aktuelle Erkenntnis.
Dass zwischen öffentlichkeitswirksamer Darstellung und der Realität noch deutlich Luft ist, überrascht den SPD-Rechtsexperten Sven Kohlmeier nicht sonderlich. »Herr Heilmann ist nicht umsonst in den letzten fünf Jahren als Ankündigungssenator bezeichnet worden«, sagt er. »Das Verhalten ist leider ein Beispiel dafür, wie sich Politik unglaubwürdig macht.« Denn eine »zusätzliche Bereitstellung von Ermittlern«, von der Kurt Wansner im Mai noch schwärmte, hat es tatsächlich nie gegeben.
»Offensichtlich gibt es auf der Straße und im Kiez eine große Problematik«, sagt Jakob Behrens vom Club Cassiopeia. Daran habe sich in den vergangenen Monaten auch kaum etwas geändert. »Das RAW-Gelände ist im Großen und Ganzen nicht unsicher«, so seine Erfahrung. Der Eigentümer des Geländes habe dennoch den Sicherheitsdienst verstärkt. »Das sind nicht die richtigen Leute«, findet Behrens. »Es braucht Sozialarbeiter, Streetworker.« Zumal auch für Raubopfer ein »Securitycontainer nicht der richtige Anlaufort« sei.
»Einmal mehr zeigt sich, dass die politisch Verantwortlichen lediglich mit kosmetischen Maßnahmen auf bestehende Probleme reagieren«, sagt Vogel. Die Ankündigung von Polizeipräsident Klaus Kandt, sogenannte Bagatelldelikte wegen geringer Erfolgsaussichten nicht mehr zu verfolgen, sei eine »herbe Enttäuschung«. Dabei habe Kandt eine Woche zuvor bunte Piktogramme auf die Warschauer Brücke gesprüht, um vor Langfingern zu warnen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.