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Prediger einer radikalen Wandlung der Menschen

Günter Vogler und Siegfried Bräuer berichten, wie Thomas Müntzer »Neu Ordnung« machen wollte in der Welt

  • Alejandro Zorzin
  • Lesedauer: 3 Min.

»Nur wenige prominente Persönlichkeiten der frühen Reformationszeit stellen Autoren vor so große Schwierigkeiten, ein verlässliches Bild von ihnen zu gewinnen, wie Thomas Müntzer ... Persönliche Zeugnisse, die Auskunft über seine Lebensweise und seinen Charakter geben, sind nur spärlich überliefert ... Als Person tritt er ganz hinter die von ihm vertretene Sache zurück«, konstatieren Siegfried Bräuer und Günter Vogler. Der Theologe und der Historiker haben die biografische Herausforderung bestens gemeistert. Im Anmerkungsteil verweisen sie darauf, welche Aussagen auf zuverlässigen Informationen beruhen und welche nur indirekt erschlossen werden konnten.


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* Siegfried Bräuer/ Günter Vogler: Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt. Eine Biographie. Gütersloher Verlagshaus. 542 S., geb., 58 €.


Den Autoren ist es gelungen, sowohl für Kenner der Reformation wie für ein an ihr interessiertes Publikum ein gut lesbares und äußerst informatives Werk vorzulegen. Sie gehen chronologisch vor, verfolgen Müntzers Lebensstationen von der Geburt 1490 bis zu dessen gewaltsamem Tod im Mai 1525. Beleuchtet werden Herkunft (Stolberg am Harz) und Studienjahre in Leipzig und Frankfurt an der Oder. Das Autorenduo folgt Müntzers Spuren in Braunschweig, Frose, Wittenberg, Zwickau, Prag, Glauchau, Allstedt und Mühlhausen. Geschildert werden die jeweiligen sozialen Milieus und der geistig-theologische Kontext. Diese geografisch-soziale Verbindung mit den Inhalten von Müntzers Reden und Schriften macht die besondere Stärke des Buches aus.

Zu ihrer Herangehensweise schreiben Bräuer/Vogler: »Als Theologen und Historiker Luther und seine Förderer zur alleinigen Norm für die Beurteilung des Reformationsgeschehens erhoben, wurden abweichende Auffassungen und konkurrierende Bewegungen zumeist als Irrlehren verworfen und Müntzer als ›Außenseiter‹ abgestempelt. Doch in den frühen Jahren, als die reformatorischen Bewegungen erst allmählich Konturen gewannen, war die Situation noch offen und waren unterschiedliche Optionen möglich. Wenn etwas in Bewegung ist, können noch verschiedene Wege eingeschlagen werden. Nur ein solches Verständnis kann helfen, die Motive Müntzers und seiner Anhänger zu verstehen.« Diese Perspektive ermöglicht es den Autoren auch, die sich zwischen Luther und Müntzer aufbauende Spannung in einen angemessenen Rahmen zu stellen. »Während Luther sich ... im Gegenüber zur römischen Kirche darauf konzentrierte, den einzelnen Christen durch das verkündigte Evangelium aus dem überlieferten kirchlichen Heilssystem herauszulösen und zu einer eigenen Entscheidung für sein Heil frei zu machen, sah Müntzer darin bald eine Engführung.«

Müntzers ganzheitliches Bibelverständnis drängte ihm die Erkenntnis auf, »dass nicht nur die Rettung des einzelnen Menschen, sondern der ganzen Welt auf dem Spiel stehe«. Müntzers Anspruch war nicht weniger, als »eine radikale Wandlung der Menschen und der Welt vorzubereiten«. Es ging ihm darum, »die Menschen zu unterrichten und zu erziehen, um ihnen den Weg zum wahren Glauben zu weisen«. Aber sein »Glaubensverständnis korrespondierte nicht mit dem Zustand der Welt«, konstatieren Bräuer/Vogler. »Um es zur Geltung zu bringen, musste diese neu geordnet werden. Im Zeichen der apokalyptischen Erwartungen sah er folglich in der Scheidung der ›Auserwählten‹ von den ›Gottlosen‹ eine unmittelbare Aufgabe.«

Neben dem ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis auf aktuellstem Stand seien hier als bemerkenswert auch die vielen, kenntnisreich von Marion Damaschke zusammengestellten Abbildungen hervorgehoben. Günter Vogler und Siegfried Bräuer ist ein ausgezeichnetes Buch gelungen. Ihrem Fazit, »dass Thomas Müntzer im Ringen um den künftigen Weg einen eigenständigen Beitrag leistete, sich aber letztlich nicht durchzusetzen vermochte«, ist zuzustimmen.

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