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Die leere Mitte des Dreiecks

Barbara Landes wollte die wahre Carson McCullers ergründen

»Ihr bleiches Gesicht neigte sich zu tief auf die Tasten«, heißt es über Carson McCullers, das vermeintliche »Wunderkind« in ihrer gleichnamigen Geschichte. Darin stellt ein Mädchen verzweifelt fest, dass es ihm trotz allem Üben nicht gelingt, ein Klavierstück mühelos und unbekümmert klingen zu lassen.


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* Barbara Landes: Die Ballade vom Wunderkind Carson McCullers. Roman. Ebersbach & Simon. 224 S., geb., 19,95 €.


»In einer komisch anmutenden Bewegung neigte das Mädchen das Gesicht über die Tasten, bis sie sie fast mit der Nasenspitze berührte«, schreibt Barbara Landes in ihrem Roman über das »Wunderkind Carson McCullers«. Das geriet im echten Leben beim Klavierspiel an seine Grenzen, wurde außerdem schwer krank, bekam von seinem Vater eine Schreibmaschine geschenkt und beschloss, Schriftstellerin statt Konzertpianistin zu werden. Was sich als sehr gute Entscheidung herausstellen sollte.

Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass das Kind in McCullers Geschichte autobiografische Züge trägt. Landes ist bestens informiert über Leben und Werk der großen vor fast 50 Jahren verstorbenen US-amerikanischen Schriftstellerin. Doch meint man im Roman über McCullers die Anstrengung zu spüren, ihr in jederlei Hinsicht gerecht zu werden. Der fiktive Erzähler Ben Jackson, selbst ein Schriftsteller, soll auf McCullers Beerdigung eine Rede über die Verstorbene halten. Um möglichst angemessene Worte sprechen zu können, begibt sich Jackson auf die Suche nach dem Wesentlichen in deren Leben. In der Fiktion soll so etwas wie eine Gesamtdeutung McCullers’ geliefert werden.

Dabei bleibt kein Aspekt ihres schweren Schicksals ausgespart: Die Tochter einer Helikoptermutter und Gattin eines Alkoholikers hatte viele einsame Jahre, trank selbst, erlitt mit 24 den ersten von mehreren Schlaganfällen, erkrankte außerdem an Gelenkrheumatismus und starb mit nur 50 Jahren nach unzähligen Krankenhausaufenthalten und Operationen. Gleichzeitig war sie früh erfolgreich mit dem Roman »Das Herz ist ein einsamer Jäger« und in der New Yorker Künstlerszene unterwegs.

Kaum geht es bei Landes jedoch darum, in welchen literarischen und ideengeschichtlichen Traditionen sich McCullers verortet, und eher am Rande um Politik, Krieg und Moderne. Statt dessen liest man, dass sich ein »mit Bleistift gezeichnetes Dreieck aus Freds Café in ihre Vorstellungen« gedrängt habe. »Ihr innerer Blick sank in seine leere Mitte. Was war das? Rätselhaft war es. Mächtig. Jeden Tag drängte es sich auf. Dann begann es auch noch zu pulsieren. Sie erkannte den Puls: Liebe und Zerstörung.« Biografische Fiktion hin, fiktive Biografie her - ist da nicht vor allem etwas übermäßig mit Bedeutung aufgeladen?

Man liest, dass McCullers und viele exilierte Künstler vorübergehend »die Wärme eines geistigen Hafens« in einem Haus finden, das der Lektor George Davies in Brooklyn angemietet hatte, nachdem es - ja, gemeint ist das Haus - im Traum auf sich aufmerksam gemacht hatte. Man wundert sich auch, dass das Zusammentreffen von McCullers mit Annemarie Schwarzenbach zwischenzeitlich aus der Sicht eines Taxifahrers beschrieben wird. Der hat »seine Marta immer geliebt«, doch gingen mit ihm »oft genug anderweitig die Pferde durch«. Das macht ihn offenbar zum Experten, der erkennt, dass sich die Amerikanerin in die Exil-Schweizerin verliebt hatte, ihre Gefühle aber nicht in gleichem Maße erwidert wurden: »Das junge Mädchen (McCullers, R.S.) knisterte eindeutig stärker.«

Naturgemäß wiegen die Worte schwer, die der Erzähler Jackson schließlich findet: »Einsamkeit und Liebe, die Pole ihrer Existenz, fielen in eins und entzündeten das Feuer ihres Werks.« Das mag auch für die echte Carson McCullers zutreffen, doch stehen ihre Werke noch für vieles mehr. Das zu überprüfen, ist ein großes Vergnügen.

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