- Kultur
- Buchmesse Frankfurt/Main
Die Muse des Minotaurus
Slavenka Drakulic´ lässt Dora Maar über ihre Beziehung zu Picasso erzählen
Zahlreich sind sie, die Musen und Künstlergattinnen, Frauen, die selbst kreativ tätig waren und oft ihre Karriere und Träume dem Mann opferten, den die Welt für ein Genie hielt: Camille Claudel, Alma Mahler, Gala Dalí, Zelda Fitzgerald, Yoko Ono, George Sand, oder auch Frida Kahlo, der Slavenka Drakulić 2007 einen Roman widmete.
Buch im nd-Shop bestellen:
* Terézia Mora: Die Liebe unter Aliens. Erzählungen. Luchterhand. 272 S., geb., 22 €.
In ihrem neuen Buch lässt die 1949 geborene kroatische Autorin Dora Maar erzählen: schnörkellos, authentisch, realistisch, wie es Drakulićs Art ist. Wir werden hineingezogen in die Biographie einer Frau, die sonst niemand geschrieben hätte. Es ist ein Roman, der von einer starken Persönlichkeit handelt, die am Ende krank und gebrochen in Religiosität und Einsamkeit driftet. Es ist ein Roman über die langjährige Geliebte, Muse und Freundin Picassos.
Doch halt: Ausschließlich so sollen wir Dora Maar eben nicht sehen, will uns die Autorin in ihrer subtil-klugen, nachdrücklich ehrlichen Art sagen. Hinter der Fassade der coolen Künstlergattin lebte eine Künstlerin, deren Werk die Welt nicht sah, weil es im Schatten Picassos und der anderen bekannten Männer verschwand.
Dora Maar wurde als Henriette Theodora Markovitch 1907 im französischen Tours geboren und starb 1997 in Paris. In ihrer Wohnung in der Rue de Savoie fand sich, so erklärt Drakulić im Vorwort zu ihrer biographischen Fiktion, ein Notizbuch mit Aufzeichnungen, geschrieben auf Kroatisch, der Sprache ihres Vaters Joseph Markovitch. Schon früh begeistert sich die kreative Tochter des Architekten aus Zagreb für die Fotografie. Bekannt wird sie jedoch an der Seite Picassos, der ihr unter anderem in seinem Gemälde »Dora und der Minotaurus« 1936 ein Denkmal setzte. Es seien nur Fragmente, vermutet Drakulić, die diese Notizen bergen. Und doch erlauben sie, nicht nur die erotische Inspiration George Batailles und anderer Persönlichkeiten zu sehen, sondern auch die Psychiatriepatientin. »Wie konnte ich mir erlauben, in der Klinik zu landen?«, lesen wir in Doras Einleitung zum Roman. »Das ist es, worüber ich schreiben möchte.«
Und so beginnt sie mit ihrer Lebensgeschichte: In jungen Jahren zieht sie mit ihrer konservativen Mutter, der Modistin Julie, zum Vater nach Buenos Aires und erlebt ihren ersten Kulturschock. »Die Kinder in der Schule nennen mich, weil ich so ernst bin, spöttisch la santa, die Heilige.« Die Integration in die Leichtigkeit der argentinischen Gesellschaft fällt ihr schwer. Doch nach der Rückkehr in die französische Heimat Jahre später realisiert sie, dass sie auch dort zur Fremden geworden ist: »Und noch etwas fehlte mir, seit wir nach Paris gezogen waren - ein Zugehörigkeitsgefühl.«
Paris ebnet ihr allerdings den Weg in die Welt der Kunst der Fotografie. Sie begegnet Henri Cartier-Bresson, Brassaï, Pierre Kefer, mit dem sie bald ein Fotoatelier eröffnet. Es ist ihre Chance, »nicht nur die Wirklichkeit zu sehen, wie ich will, sondern auch eine neue zu kreieren.« Angeregt durch Man Ray ändert sie ihren Namen und nennt sich fortan Dora Maar. Sie zählt sich zum Umfeld der engagierten Surrealisten jener Zeit, darunter Paul Éluard, André Breton, die Brüder Prévert. Sie experimentiert, hinterfragt, setzt sich mit der gesellschaftlichen Realität ihrer Zeit auseinander, ist eine »moderne« Frau. Ihre Bilder werden in mehreren Gruppenausstellungen gezeigt.
Es sind spannende Seiten im Roman, auf denen Dora Maar aus jener Epoche berichtet. Dora hat Picasso schon lange bewundert. Mit ihm und durch ihn wird sie »... Frau und Opfer. Doch ... erst in dem Moment, als ich die Kamera für immer weglegte. Weil mich Picasso dazu getrieben hatte. Weil ich es ihm erlaubt hatte.« - »Was kann einen überhaupt dazu treiben, sich selbst aufzugeben?«, fragt sie. Und antwortet selbst: »Nur verzweifelte, abhängige Liebe. Die Folge war der Zerfall, der völlige Zusammenbruch meiner Persönlichkeit.«
Picasso ist 54 Jahre alt, als Dora Maar ihn 1936 in Paris kennenlernt, und sie wird nie mehr von ihm loskommen. Sie ist von ihm angezogen, »weil er Picasso ist«: »Ich weiß nicht, was ich genau wollte ... Zuerst, dass er mich wahrnimmt. Dann wollte ich seine Aufmerksamkeit und Bewunderung.« Sie begegnet ihm wieder, in Mougins und St. Tropez. Er erzählt von seinen Frauen, von Olga, mit der er verheiratet ist, und von der Geliebten, Marie-Thérèse, mit der er eine kleine Tochter hat. Frauen sind eine Last für ihn, notiert Dora Maar. Er ist grob, betrachtet sie quasi als sein Eigentum. Sie empfindet es als Liebe, tröstet sich damit, dass sie »Mitleid mit dem Täter« hat. Sie will mehr sein als sein Modell, ist glücklich, dass sie als Fotografin seine Arbeit an Guernica porträtieren darf. Dann beginnt sie selbst zu malen. Sie identifiziert sich mit Frida Kahlo, um durch deren Beziehung mit dem bedeutend älteren mexikanischen Maler Diego Rivera ihre eigene (unmögliche) Zweisamkeit mit ihrem spanischen Idol Picasso besser zu verstehen. Das Idol jedoch will ihre Kunst nicht sehen.
Drakulić lässt ihre Dora Maar spekulieren: Was wäre gewesen, hätte sie ein Kind von Picasso bekommen? Hätte sie sich aufgegeben, wäre sie in ihrer Kunst stärker aufgegangen? Hätte sie Liebe anstreben sollen, statt Partnerschaft? Sie beschreibt die opportunistischen Seiten des Malers, in der Zeit des spanischen Bürgerkriegs und unter der Besatzung der Nazis, wenn auch niemals denunzierend oder klagend.
Schließlich werden Dora Maars Depressionen und Wahnvorstellungen übermächtig. Sie lässt sich stationär behandeln und realisiert, als sie das Hospital verlässt, dass ihre Beziehung zu Picasso endgültig vorbei ist. Françoise Gilot tritt als Modell, Muse und Geliebte ihre Nachfolge an, und ihr folgen weitere junge, jugendliche Frauen.
Der Kontakt zwischen Maar und Picasso reißt zwar nicht ab, doch die Ergebenheit der Frau dem Künstler gegenüber wendet sich ins Religiöse. Irgendwann gibt sie die therapeutischen Sitzungen bei Lacan auf und findet sich ab. Sie zieht sich nach Ménerbes zurück, in das Haus, das Picasso ihr 1945 zum Abschied schenkte.
Ein letztes Mal begegnet sie ihm bei einem Abendessen bei Freunden, und Dora Maar begreift, »dass ich mein ganzes Leben lang eine einzige Maske trage, die der geheimnisvollen Etruskerin, der Frau ohne Lächeln. Niemand weiß, was sich hinter der Maske verbirgt«.
Ein bisschen davon gelingt es Slavenka Drakulić in diesem berührenden Roman zu enthüllen. Mit sehr viel Respekt und Zartheit. Ein schönes Buch!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.