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Kunsträtsel

Brigitte Kronauer führt ein Kuriositätenkabinett skurriler Figuren vor

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 4 Min.

Der neue Roman von Brigitte Kronauer spielt im behaglich-beschaulichen Aachen der Gegenwart, genauer gesagt, in einem eng gewebten Netz von drei Orten: im großbürgerlichen Aachener Süden bei einem Stausee, in der Nähe davon im Wohnhaus von Tante Emmi und dann noch in dem kleinen Antiquitätenlädchen vor dem Dom.


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* Brigitte Kronauer: Der Scheik von Aachen. Roman. Klett-Cotta. 399 S., geb., 22,96 €.


In der Hauptsache geht es um sechs Figuren: Anita Jannemann ist von Zürich nach Aachen gekommen, um ihrem Freund und Geliebten Mario Schleifelder nahe zu sein. Auch will sie wenigstens zeitweise dorthin zurückkehren, wo sie ihre Kindheit verbracht hat. Dann ist da noch ihre Tante Emmi, die von einer polnischen Hilfskraft, Frau Bartosz, im Haushalt und auch sonst unterstützt wird.

Herrn Brammertz verbindet eine verdeckt-versteckte amouröse Beziehung mit der Tante. Außerdem gibt es noch einen alten Mann, den Anita den »falschen Herrn Brammertz« nennt. Nach dem Tod seiner geliebten Frau hat er eine Bank oberhalb des Stausees errichten lassen.

Der titelgebende »Scheik von Aachen« könnte der mysteriöse Herr Marzahn sein, Antiquitätenhändler, Hobby-Philosoph, Mystagoge und Misanthrop. Da tut sich eine Analogie zum »Scheik von Alessandria und seinen Sklaven« von Wilhelm Hauff auf. In Hauffs Manier gibt Anita nämlich samstagsnachmittags ihrer Tante Geschichten zum Besten.

Anita macht Bekanntschaft mit Marzahn, der sie in seinem Laden anstellt, und mit dem »falschen Herrn Brammertz«, den sie bei dessen Bank trifft. Sie muss erfahren, dass ihr geliebter Mario auf einer Bergtour am Elbrus im fernen Kaukasus abgestürzt und ums Leben gekommen ist. Dem Schmerz über diesen Verlust sucht sie in Gesprächen mit der Tante, Frau Bartosz und den beiden älteren Männern zu begegnen. So versucht sie, für sich neue, vielleicht andere Lebensperspektiven wenigstens zu erahnen.

Für Brigitte Kronauer ist Literatur bekanntlich Konstruktion. So wird Anita - ebenso wie der Leser, der bisweilen direkt im Text angesprochen wird - in unterschiedlichste Lebensentwürfe versetzt. Wie in Brigitte Kronauers vorigem Roman »Gewäsch und Gewimmel« wird man mit Biographien und Einstellungen konfrontiert, die die verschiedenen Figuren gesprächsweise entwickeln.

Von der lebenslustig-frivolen Tante erfährt man zum Beispiel, dass es bei ihr ein dunkles Geheimnis gibt. Über den frühen Tod ihres Sohnes Wolfgang bei Kletterspielen hat die ganze Familie den Mantel des Schweigens gebreitet. Ebenso taucht man ein in die Welt des »falschen Herrn Brammertz«, der sich - insbesondere seit dem Tod seiner Frau - als Spezialist für Heimatmuseen darum kümmert, an die »Auslöschungen« von Natur und Landschaft zu erinnern. Faszinierend nicht zuletzt Herr Marzahn, der nicht nur Anitas verstorbenen Freund und dessen Familie gekannt zu haben scheint, sondern auch in dunkle Geschäfte verwickelt ist, einmal gar nächtens auf offener Straße zusammengeschlagen wird.

Wie das alles zusammenhängt? Lose, luftig, ebenso durchsichtig wie letzten Endes tief geheimnisvoll, denn die Kunst - und hier muss man wohl auf die Einsichten von Herrn Marzahn zurückgreifen - macht »die Dinge durchschimmernd auf die Urgründe und Urhimmel hin.« »Die Verehrung«, so Marzahn weiter, »einer einzigen Gedichtzeile, eines Zitats, selbst isoliert vom Zusammenhang, ist, bei Glück, der Kristall, in dem sich eigenes Leben verfängt. Natürlich sind auch die großen Werke nicht die Wahrheit an sich.«

Dabei wäre Brigitte Kronauer nicht die gewiefte, ironisch-distanzierte Erzählerin, wenn sie nicht gleich auch die Brechung hinzufügte: »Wahrheit an sich? Noch bei Trost, Marzahn? Natürlich nicht die absolute Wahrheit, aber es sind wunderbare Wohnstätten, Altäre, um demütig davor zu knien. Bilder, um sich in sie eine Weile rückhaltlos zu entäußern.«

Brigitte Kronauer hat einen wunderbaren Roman geschrieben, der ein grandioses Kuriositätenkabinett skurriler Figuren vorführt - Menschen, die das sind, was und worüber sie erzählen oder die sich auch etwas vormachen, mit all ihren Idiosynkrasien, mit ihren Wunsch- wie (Alb-)Traumvorstellungen.

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