Die Frauen müssen es richten
Vor den Europameisterschaften in Budapest schwächeln die deutschen Tischtennisspieler
Vor dem Schlussakkord der langen Olympiasaison formuliert Timo Boll das Gegenteil einer Kampfansage. »Ich würde nicht auf mich setzen«, sagt der 35-Jährige mit Blick auf die Tischtennis-Europameisterschaften, die von Dienstag bis Sonntag in Budapest ausgetragen werden. Nach seiner Nackenverletzung im Spiel um Bronze von Rio de Janeiro war Boll erst Anfang Oktober in die Wettkämpfe zurückgekehrt. Weil zudem auch Titelverteidiger Dimitri Owtscharow mit Problemen zu kämpfen hat, sind die Erwartungen bei den erfolgsverwöhnten Deutschen gedämpft.
»Es ist noch nicht alles so geschmeidig, wie man es sich wünscht, und ich werde nicht von null auf hundert schießen«, sagt EM-Rekordchampion Boll, der 2012 den letzten seiner insgesamt sechs Einzeltitel bei europäischen Meisterschaften gewann: »Es würde bei der EM sicher von Spiel zu Spiel besser werden, aber inzwischen ist alles so nahe zusammengerückt in Europas Spitze, dass man die Chance dazu überhaupt einmal bekommen muss.«
Bolls Thronfolger Owtscharow enttäuschte derweil zuletzt beim Heimweltcup in Saarbrücken mit dem Aus im Achtelfinale, auch wenn er da gerade Vater geworden war und zudem den Tod seiner Großmutter zu verdauen hatte. »Schlechter als beim Weltcup kann ich gar nicht spielen«, sagt Owtscharow und hofft, die deutsche Erfolgsserie in Ungarn trotzdem fortsetzen zu können: »Ich bin mittlerweile wieder in einem besseren Rhythmus und glaube, dass ich den Titel holen kann, auch wenn ich nicht in absoluter Bestform sein sollte.«
Seit 2007 haben Owtscharow und Boll sieben von acht europäische Einzeltitel gewonnen. Doch das Ende der großen Ära der deutschen Tischtennisspieler schien zuletzt nah. Im Team verloren sie zweimal in Folge das EM-Finale, mussten zudem den Rang als weltweite Nummer zwei hinter China an die deutlich jüngeren Japaner abtreten. Um zumindest in Europa die Vormachtstellung zu verteidigen, müsste in Budapest deshalb eigentlich ein Ausrufezeichen her.
Die größten Hoffnungen des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) ruhen deshalb zunehmend auf den Frauen. Schon in Rio waren die Schützlinge von Bundestrainerin Jie Schöpp mit der Silbermedaille im Teamwettbewerb aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen getreten. In Budapest belegen Spitzenspielerin Han Ying (Tarnobrzeg), Petrissa Solja und Shan Xiaona (beide Berlin) nun sogar die Plätze eins bis drei der Setzliste.
Allerdings spüren auch die Frauen die Folgen des kraftraubenden Olympiajahres. »Meine Form ist okay, mein Kopf allerdings noch etwas leer«, sagt die topgesetzte Abwehrspezialistin Han. Petrissa Solja, die auch im Doppel mit Teamkollegin Shan zu den Favoriten gehört, betont: »Wegen Olympia war meine Vorbereitung natürlich nicht ideal. Es war nach Rio viel Trubel und ich habe kaum systematisch trainiert.« Auch hier gilt: Eine Kampfansage klingt anders. SID/nd
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