Schicksalhaftes Bundesfatalismusgericht
Wenn schon die Verhandlungen zu CETA nicht unterbrochen werden können, dann wird ein laufendes CETA erst recht niemand stoppen
Die Reaktionen der Gegner der geplanten Freihandelsabkommen hatten wohl eher so ein ambivalentes Gefühl nach der Entscheidungverkündung der Verfassungsrichter letzte Woche. Die einen zeigten sich sichtlich enttäuscht und bezeichneten das Karlsruher Gericht als »Handlanger der GroKo und Konzerne« (Kipping), die anderen betonten hingegen das große Aber dahinter, den Umstand also, dass die ganze Angelegenheit nun doch kein Selbstläufer für die Freihandelsgewinnler werden wird. Wahrscheinlich aber drückt das vorübergehende Urteil doch was ganz anderes aus: Den Fatalismus, dem man sich fast programmatisch ausliefert, wenn man solche Abkommen über Gesellschaftsordnungen stülpt. Selbst wenn man bereit ist, sich dem objektiv entgegenzustellen: ein derart komplexes Abkommen ist fatal schon bevor es zur Wirklichkeit wird.
Dieses Eilverfahren sollte ja nur mal eben prüfen, ob in der Zwischenzeit nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen würden, wenn man CETA vorübergehend aussetzt. Die Richter dachten wohl, dass dem so ist. Daher kamen sie zum Entschluss, dass man keinen Stop veranlassen sollte. Sie sagten aber gleichzeitig, dass die Bundesregierung Grundlagen schaffen müsse, um jederzeit Herr der eigenen Lage zu bleiben. Sie sollte also Modalitäten in den Text aufnehmen lassen, wonach ein Ausstieg aus dem Abkommen stets mögliche Option bleibt. Das wirkt tatsächlich mehr als ein bisschen hilflos, wenn man der Regierung etwas zur Verwirklichung aufträgt, was man als Gericht vorab schon nicht wagt, weil man sich vor den eventuellen Folgen fürchtet, die man zudem auch noch für »nicht wiedergutzumachend« wähnt. Und das alles schon, bevor CETA auch nur überhaupt in Kraft tritt. Wie wird es denn dann erst werden, wenn es verabschiedet und aktiviert ist? Kommt man aus einer Nummer raus, die schon in der Verhandlungsphase so schwerwiegende Folgen in Aussicht stellt, dass man es alternativ dazu lieber mal ertragen muss?
Das Bundesverfassungsgericht lehrt uns hier doch besonders anschaulich, dass solche Vertragswerke schon ein Unglück sind, bevor sie überhaupt realisiert und umgesetzt sind. Schon die Planung ist so tiefgreifend, wirkt so profund in die ökonomischen Denkprozesse ein, dass sich früher oder später der berühmte Point of no Return manifestiert und ergebnisoffene Prüfungen kaum noch erlaubt. Wenn man da politisch anbeißt, dann hängt man am Haken. Wer da signalisiert, dass er Schiedsgerichte und Standardisierungen auf niedrigstem Level für durchaus politisch umsetzbar hält, der installiert eine Erwartungshaltung bei den Konzernen, die sich eben auch in der von ihr unterhaltenen Publikative niederschlägt und die ein etwaiges Entkommen peu a peu verunmöglichen. Letztlich lesen Richter ja auch Zeitungen und müssen das glauben, was Fachleute ihnen da berichten. Und so ist noch vor dem eigentlichen Stichtag so ein Abkommen schon durch wirtschaftsnahe Kampagnen so verfestigt, dass man es gar nicht mehr ausstechen kann.
Die Karlsruher Entscheidung war der fatalistische Vorgeschmack auf das, was da kommen mag. Wenn man eben nicht mehr rauskommt aus der neuen Ordnung, wenn Staaten sich durch eine Hinterzimmerjustiz auf Milliarden Entschädigungen verklagen lassen müssen und keiner weiß, wie man solche Prozesse noch aufhalten soll. Wenn schon die Verhandlungen zu CETA mit Rücksicht auf vermeintliche Nachteile nicht unterbrochen werden können, dann wird sich ein laufendes CETA erst recht niemand zu stoppen trauen. Also wird man hinnehmen müssen, was da an Diktatur der Konzerne nach und nach unseren Alltag bestimmen wird. Wo vorher kein Entkommen war, kann nachher ja wohl erst recht nicht damit gerechnet werden.
Und nun hat also die Bundesregierung umzusetzen, was das Bundesfatalismusgericht sich nicht traute. Die roten Roben halten CETA wie ein unabänderliches Schicksal, halten still, halten Sachzwänge vor und bedienen die Denkweise von der Unvermeidlichkeit der Dinge. Nicht Fisch, nicht Fleisch, diese Haltung, man merkt es immer wieder, ist wirklich eine Karlsruherin. Die dortigen Fatalismusrichter sind unser Schicksal.
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