Die Institutionen ziehen die Liberalisierungsschrauben an
Internationale Geldgeber befinden über die vom griechischen Parlament beschlossenen Maßnahmen / Dijsselbloem fordert Depolitisierung des griechischen Staatsapparates
»Von griechischen Behörden werden keine einseitigen steuerlichen oder sonstigen politischen Maßnahmen unternommen.« Dieser Auszug aus dem dritten Memorandum zwischen Griechenland und den internationalen Geldgebern vom August 2015 bezieht sich auf die Finanzstabilität. Allerdings könnte man auf vielen Ebenen meinen, der griechischen Regierung werde jeder souveräne Handlungsspielraum untersagt.
In dieser Woche begann die neue vierteljährliche Kontrollrunde, in der die internationalen Geldgeber über die vom griechischen Parlament beschlossenen Maßnahmen befinden. Thema sind hauptsächlich die Arbeitsmarktreformen. Unter der konservativen Regierung wurden 2012 einschneidende Änderungen durchgesetzt: Der Arbeitsmarkt wurde liberalisiert, Tarifverhandlungen eingefroren, der Mindestlohn reduziert. Die Folge: anhaltend hohe Arbeitslosenraten. Zusätzlich steigt die Armut unter der arbeitenden Bevölkerung. Über 150 000 Vollzeitarbeitsverträge wurden nach Zahlen des Arbeitsministeriums von 2013 bis 2016 in Teilzeitverträge umgewandelt. Die Gewerkschaften legten darum den Parlamentariern Vorschläge und Forderungen für die Wiedereinführung von Tarifverhandlungen vor - begleitet von Demonstrationen.
Die Institutionen, einst als Troika bekannt, fordern aber weitere Liberalisierungen des Arbeitsmarktes, wollen die Aussetzung der Tarifverhandlungen beibehalten und zusätzliche Erleichterungen von Entlassungen einführen, was für die SYRIZA-ANEL-Regierung schwierig zu vertreten ist. Generell, heißt es aus Kreisen von Arbeitsmarktforschern, die mit Beratern der EU-Kommission zusammenarbeiten, soll der Arbeitsmarkt immer mehr nach neoliberalen Prinzipien umgestaltet werden. Das sei nicht verwunderlich, denn die Berater der Kommission pflegen gute Kontakte zu griechischen Unternehmern. Das Programm der Regierung, in dem Langzeitarbeitslose eine begrenzte staatlich finanzierte Stelle bekommen, wird von den Beratern ebenso kritisch gesehen wie die Sozialhilfe. Stattdessen solle auf Weiterbildungen der in Griechenland meist ohnehin oft hoch qualifizierten Arbeitslosen gesetzt werden sowie auf ein Mini-Grundeinkommen. Als Problem, heißt es weiter, werden die Arbeitslosen selbst gesehen und nicht die strukturellen Bedingungen, die sie arbeitslos machen.
Das dritte Memorandum für ein Drei-Jahres-Programm über 86 Milliarden Euro, das die griechische Regierung im August 2015 unterzeichnete, hat großen Einfluss auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Darum drängt sie darauf, dass mit den weiteren Liberalisierungen wenigstens eine Erleichterung der Staatsschulden mitverhandelt wird. Ob das jedoch in naher Zukunft geschieht, ist unsicher. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble lässt verlauten, er wolle nicht vor dem Ende des Memorandums 2018 über einen Schuldendeal sprechen, während Jean-Claude Juncker und Pierre Moscovici von der EU-Kommission sich auf die Vereinbarung der Eurogruppe vom Mai 2016 beziehen und die Schuldendebatte noch 2016 abschließen wollen.
Den geringen Handlungsspielraum gegenüber den internationalen Institutionen belegen auch die vergeblichen Versuche des griechischen Verfassungsgerichts. Es verklagte den ehemaligen Direktor der griechischen Statistikbehörde Elstat, Andreas Georgiou, er habe das griechische Staatsdefizit von 2009 übertrieben und so auch die Notwendigkeit der strikten Austeritätsprogramme. Georgiou wird aber unter anderem vom Eurogruppen-Vorsitzenden Jeroen Dijsselbloem und dem Sprecher der EU-Kommisson Margaritis Schinias unterstützt, die eine »Depolitisierung« des griechischen Staatsapparates und der Justiz fordern. Obwohl Schinias sagte, dass sich die Kommission nicht in Gerichtsverfahren der Mitgliedsstaaten einmischt, könnte der Disput um den Elstat-Chef die Reformverhandlungen beeinflussen.
In einem andern Fall verklagte die Anti-Korruptionsbeauftragte des Verfassungsgerichts den Vorstand der Privatisierungsbehörde TAIPED wegen Unterbewertung des zu privatisierenden Staatseigentums und Unterschlagung. Die TAIPED-Vorsitzenden genießen jedoch einen beschränkten Schutz vor Strafverfolgung. Ein Prozess gegen sie wird dennoch wegen Vergehen in Bereichen, die nicht der Immunität unterliegen, geführt. Auch der Vorstand der neuen Behörde, des sogenannten Super-Privatisierungsfonds, wird zivil- und strafrechtlich für ihre »beratende« Tätigkeit immun sein. Allerdings sollen in dem neuen Fonds die Hälfte des eingenommen Geldes in Investitionen und nicht wie in der Vorgängerinstitution direkt in den Schuldendienst fließen. Ein kleiner Erfolg für die griechische Regierung.
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