Atom-Deal sorgt bei Irans Konservativen für Kopfzerbrechen
Der Wunsch nach weiterer Aufhebung der Sanktionen überschattet die Suche nach einem global präsentablen Präsidentschaftskandidaten
Dutzende Flugzeuge, eine Autofabrik, ein neuer Flughafen auch: Die Liste der Deals, die die iranische Regierung in den vergangenen Monaten mit Unternehmen vor allem in der Eurozone geschlossen hat, ist lang. Jüngst bestellte man 50 Lokomotiven bei Siemens, und dies, obwohl Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zuvor bei einem Besuch in Teheran Kritik am dortigen Regime geübt hatte. Darauf folgten ein paar Terminabsagen seitens Teheran. Grundsätzlich gibt man sich indes ungewöhnlich verständnisvoll: Er habe das sagen müssen, weil in Deutschland Wahlkampf sei, kommentierten selbst dem konservativen Lager zugerechnete Medien.
Die Konservativen lehnen eine Öffnung in Richtung Westen ab, und reagieren auf westliche Kritik ausgesprochen empfindlich. Eigentlich. Denn der Atom-Deal mit dem Westen hat die iranische Politik auf den Kopf gestellt, und zwar so sehr, dass Ayatollah Ali Khamenei nun dem konservativen Ex-Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad nahegelegt hat, auf eine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2017 zu verzichten.
Die beiden gelten als enge Vertraute: Beide lehnen den Atomdeal ebenso ab, wie die Forderung von Präsident Hassan Ruhani nach einem umfassenden Reformplan für die iranische Wirtschaft und das Justizsystem des Landes.
Wie dringend die Justiz reformiert werden müsste, zeigt sich nach Ansicht von Mohammad Reza Aref, dem Fraktionsvorsitzenden der Reformer im Parlament, am Fall einer »Kinderbraut«, die mit 17 wegen Mordes an ihrem Ehemann zum Tode verurteilt wurde, und gehängt werden soll. »Das Verfahren entsprach nicht einmal iranischem Recht«, sagt Aref. »Trotzdem hält man am Urteil fest, weil alles andere bedeuten würde, dass man eingestehen müsste, dass jemand etwas falsch gemacht hat.« Das Atomabkommen habe aus seiner Sicht aber dazu geführt, dass auch die Konservativen bereit sind, über solche Themen zu sprechen: »Allerdings eher notgedrungen: Das Atomabkommen selbst lehnen sie ab, aber alle wollen den wirtschaftlichen Aufschwung, und negative Berichte behindern das.«
Die Aufhebung der Sanktionen verläuft schleppend. Und auch wenn Khamenei wie viele Konservative das Atomabkommen selbst ablehnt, befürwortet er die Aufhebung der Sanktionen. »Alle Repräsentanten des Staates« müssten »mit ganzem Herzen« darauf hinarbeiten, den Fortschritt voranzutreiben, so Khamenei, bevor er bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Monats erklärte: »Jeder muss wissen, dass ich die Regierung unterstütze und bestätige, und alles in meiner Macht stehende tue, um die Verwaltung und ihre hochrangigen Vertreter zu unterstützen.«
Konservative Politiker hatten Ahmadinedschad schon seit Längerem zu einem Verzicht aufgefordert: Er sei zu polarisierend, gefährde damit den wirtschaftlichen Fortschritt, sagte beispielsweise Ahmed Dschannati, ein einflussreiches Mitglied im Expertenrat, der vor allem für die Wahl eines neuen Ayatollah da ist. Stattdessen suchen die Konservativen einen Wirtschaftsexperten, um mit umfassenden Sozialleistungen als Wahlversprechen die Massen zurückzugewinnen. Bei der Parlamentswahl im Frühjahr hatten die Reformer Erfolge erzielt.
Doch einen aussichtsreichen Kandidaten haben die Konservativen noch nicht gefunden. Damit erscheint ein Wahlsieg Ruhanis als so gut wie sicher - und das, obwohl auch die Reformer mit dem Präsidenten nicht besonders glücklich sind. Nach Ansicht Arefs drängt er nicht entschieden genug auf Reformen: »Ein Plan ist gut; ihn umzusetzen, ist besser.«
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