Bremer Linke bereitet zwei Wahlen vor

Parteitag zur landespolitischer Aufstellung 2019 und zur Bundestagswahl 2017 / Debatte über Mitregieren in der Hansestadt und »Gebrauchswert«

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Berlin. In Bremen sind die Delegierten der Linken zu einem Parteitag zusammengekommen - im Vordergrund stehen die landespolitischen Bemühungen um mehr Gerechtigkeit sowie die Vorbereitung auf die Bundestagswahlen. Auf der Tagesordnung steht unter anderem ein Leitantrag des Landesvorstandes unter der Überschrift »Soziale Gerechtigkeit in Bremen und Bremerhaven erkämpfen«. Es sei »unübersehbar, dass die Politik des Senats, alle öffentlichen, politischen, sozialen Fragen im Land der Schuldenbremse zu unterstellen, gescheitert ist«, heißt es darin.

Rot-Grün habe »den öffentlichen Dienst bis zum Punkt der phasenweisen Handlungsunfähigkeit kleingespart, lässt arme Stadtteile mit ihren Problemen allein und senkt die Standards in der Kindergartenbetreuung«, kritisiert die Linkspartei. Der Wohnungsbau werde »profitorientierten privaten Investoren« überlassen, die Landesregierung aus SPD und Grünen »verschärft die soziale Spaltung« und schließe Menschen mit geringeren Einkommen.

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Hieran schließt folgerichtig eine Frage an: »Und jetzt?« In Bremen und Bremerhaven wird 2019 wieder gewählt. In Umfragen, so die Linkspartei, zeichne sich ab, »dass die Regierungskoalition bei der nächsten Bürgerschaftswahl ihre parlamentarische Mehrheit verliert. Klar ist, dass mit einer rot-schwarzen oder einer Ampel-Koalition im Land Bremen wenig besser werden würde«, FDP und CDU stünden für »die verschärfte Fortsetzung der Politik der Schuldenbremse kombiniert mit einer repressiveren Innenpolitik«. Klar sei aber auch, dass die Linkspartei selbst »nicht als Lückenbüßerin bereitsteht, um die falsche Politik der Schuldenbremse kosmetisch verbessert fortzusetzen«. Bremen brauche stattdessen »eine radikale Neubesinnung«, man werde daher für einen sozialen und ökologischen Politikwechsel kämpfen.

Die Frage ist, wie so oft bei der Linken: Wie? Da die Landespartei in der letzten veröffentlichten Umfragen bei 10 Prozent steht, rückt dabei auch die Option einer Koalitionsbeteiligung ins Blickfeld. Doch nicht jedem gefällt das: »In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, wir würden bereits auf die Beteiligung an einer künftigen Landesregierung orientieren und der SPD eine rot-rote Zusammenarbeit anbieten«, heißt es in einem weiteren Antrag unter der Überschrift: »Regieren ist kein Wert an sich«. Bemängelt wird, dass »viele in der Mitgliedschaft« das Gefühl bekommen würden, »hier würden in einem Top-down-Prozess Weichen gestellt, bevor die inhaltliche Einstellung des Landesverbandes auf die Bürgerschaftswahlen 2019 überhaupt begonnen« habe.

Die Partei sei »in Gefahr, von allen Seiten instrumentalisiert zu werden«. Daher sollen nach dem Willen der Antragsteller zunächst »grundsätzliche Positionen« zur Koalitionsfrage zur Debatte stehen: »Wir schließen Regieren nicht prinzipiell aus, aber es ist kein Wert an sich, sondern kann nur daran gemessen werden, ob sich reale Veränderungen durchsetzen lassen«, so der Antrag, in dem auch eine Tolerierung als eine Option bezeichnet wird.

In einem weiteren Antrag heißt es, »Mehrheiten für unsere anti-kapitalistischen Projekte lassen sich zur Zeit weder mit Rot-Rot-Grün noch Rot-Rot erreichen«. Um die Gesellschaft »wirklich zu verändern« brauche man »klassenpolitisch auch die Prekären, die Abgehängten, die Alleinerziehenden, die Aufstocker*innen«. Die Linkspartei solle »zusätzlich einen außerparlamentarischen Gebrauchswert für die Menschen in dieser sozial gespaltenen Stadt entwickeln«.

Ein Vorschlag dazu: »Wir sollten, wie wir es teilweise ja auch schon tun, eine militante Quartierspolitik entwickeln. Eine Linke muss zu jederzeit in der Lage sein, im Beiratsgebiet, in der Nachbarschaft, im Quartier präsent zu sein, wenn die Interessen der einfachen Menschen missachtet werden. Und präsent sein heißt aber auch interventionsfähig zu sein, also Demo’s organisieren, Plätze und Häuser besetzen, Solidarität Vorort für die Menschen erfahrbar zu machen«, so der Antrag. »Ohne uns, und besonders gegen uns darf perspektivisch in den Quartieren nichts mehr laufen.«

Mit Blick auf die Bundestagswahlen 2017 liegt dem Parteitag unter anderem ein Antrag vor, mit dem »Klare antirassistische Spitzenkandidaturen« gefordert werden. Es sei »auch innerhalb der Linkspartei vermehrt zu Abwendungen von asylpolitischen Grundsätzen« gekommen, heißt es darin mit Blick auf »Versuche aus dem Saarland, eine rechte Agenda in der Partei salonfähig zu machen« oder auf Abschiebungen aus Thüringen und Brandenburg, wo die Linkspartei bereits mitregiert. Man wolle »keine Linkspartei die nur eine nettere SPD ist, oder sich auf gefährliche Kompromisse zu Lasten geflüchteter Menschen einlässt«.

Zudem wird mit dem Antrag »eine konsequente Aussprache gegen Obergrenzen und Asylgesetz-Verschärfungen« gefordert - »statt Anbiederungen« an AfD-Wähler. Wolle die Linkspartei »asylpolitisch glaubwürdig bleiben«, dürfe sie im Wahlkampf »an ihrer Spitze keine Personen aufstellen, die den anderen Abschiebeparteien nichts entgegenzusetzen haben« – ein Wunsch, der auf die jüngsten Diskussionen über die Spitzenkandidaturen der Linkspartei sowie auf Äußerungen unter anderem von Sahra Wagenknecht abzielt, die innerparteilich deutliche Kritik einstecken musste.

Nicht zuletzt wird der Parteitag einen Antrag beraten, der schon einmal auf der Tagesordnung stand, dann aber überwiesen wurde: »Für eine antisexistische Praxis und ein geschlechtergerechtes Wirken unserer Partei«. Das Ringen gegen Sexismus, heißt es darin, »darf nicht als programmatischer Punkt verkommen, sondern muss eine aktive Auseinandersetzung erfahren. Maßnahmen wie quotierte Vorstände oder Redelisten sind eine Grundvoraussetzung, denn solange die Realität eine auch patriarchale ist, solange braucht es diese Instrumente. Weitere Bedarfe im Umgang mit Geschlechtergerechtigkeit betreffen möglichst familiengerechte Sitzungsformate sowie das Angebot einer Kinderbetreuung auf Parteitagen. Darüber hinaus müssen individuelle Einstellungen und Wertvorstellungen hinterfragt und politisiert werden.« vk

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