Hunderte rassistische Kommentare nach Tod in Schmölln

Polizei in Thüringen bestreitet Hetze bei Suizid von Geflüchteten / Bürgermeister berichtete von »Spring doch«-Rufen / Heimleitung bestätigt Anfeuerungsrufe

  • Lesedauer: 3 Min.

Erfurt. Die Polizei in Thüringen hat eine hetzende Stimmung während eines Suizids eines jungen Flüchtlings in Schmölln bestritten. »Wir haben dort keine Person brüllen hören oder ähnliches«, sagte ein Sprecher der Landespolizei am Sonntag. Eine vom Schmöllner Bürgermeister als Quelle für die Aussage, es sei zu »Spring doch«-Rufen gekommen, genutzte Frau habe auf Nachfrage der Polizei sehr zurückhaltend und im Konjunktiv geantwortet.

Schmöllns Bürgermeister Sven Schrade (SPD) hatte auf einer Pressekonferenz am Samstag und auf seiner Facebook-Seite berichtet, es sollen »Spring doch«-Äußerungen gefallen sein. Außerdem hätten ihn Bildaufnahmen erreicht, »die den Jungen auf dem Fensterbrett sitzend zeigten, versehen mit unbegreiflichen Kommentaren«. Der Polizeisprecher sagte hingegen, die Polizei und Feuerwehrleute vor Ort hätten während ihres mehrstündigen Einsatzes keine Rufe gehört und es sei auch kein besonderer Auflauf an Schaulustigen gewesen. Allerdings seien an dem Tatort, einem Plattenbau, sehr viele Balkone und natürlich immer Menschen, die irgendetwas rufen könnten.

Nach Angaben der Polizei vom Samstagabend filmte ein Passant die Szenen mit einem Handy. Er sei noch vor Ort gebeten worden, das Video zu löschen, was er vor den Augen der Beamten auch getan habe.

Die vom Bürgermeister genutzte Quelle habe auf Polizeinachfrage gesagt, sie wisse von jemandem, der sinngemäß gehört haben wolle, dann soll er doch springen. Der Polizeisprecher erklärte, schon wegen der vielen Konjunktive der Frau wisse er nicht, was tatsächlich gehört wurde. Er könne aber nicht definitiv ausschließen, dass tatsächlich so etwas gefallen sei. Fakt ist: Imr Internet finden sich hunderte Kommentare, die den tödlichen Zwischenfall wahlweise herunterspielen, den Tod für richtig halten oder den jungen Geflüchteten als »Kriminellen« bezeichnen.

Dagegen hat David Hirsch, Geschäftsführer der Betreuungseinrichtung, in der der Junge gewohnt hatte, der »Süddeutschen Zeitung« bestätigt, dass Mitarbeiter die Rufe gehört hätten. Dies werde auch in einem Bericht an das Landesjugendamt übermittelt. In der Wohngruppe für unbegleitete Minderjährige sind elf weitere Flüchtlinge im Alter von 15 bis 18 Jahren untergebracht, schreibt das Blatt weiter. Mit der Nachbarschaft habe es bis dato keine größeren Probleme gegeben, so Hirsch, nur immer wieder »Kommentare von einigen Unverbesserlichen«.

Der kurz vor seinem Tod aus einer psychischen Behandlung entlassene, nach unterschiedlichen Angaben entweder 15 oder 17 Jahre alte Flüchtling aus Somalia, hatte sich am Freitag aus einem 5. Stock eines Plattenbaus in den Tod gestürzt. Der Jugendliche sprang neben ein von der Feuerwehr gespanntes Sprungtuch.

Der Jugendliche war im März nach einer wahren Odyssee von Somalia über Sudan, die Sahara und über das Mittelmeer nach Europa und schließlich im April in die Obhut des Schmöllner Jugendamtes gekommen. Diese betreute ihn in einer Wohngruppe. »Er war traumatisiert und hatte psychische Probleme«, so der Jugendamtschef Dirk Nowosatko. Wegen Verhaltensauffälligkeiten sei er wiederholt in psychiatrischer Behandlung gewesen. Zuletzt sei er am Freitagmorgen aus der Klinik entlassen worden.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nannte den Fall in Berlin »menschenverachtend«. »Ich finde es unfassbar, wie Verzweifelten und Schutzsuchenden in diesen Zeiten Hass und Verachtung entgegenschlägt. Wer so handelt, hat von Menschenwürde und unserem Grundgesetz nichts verstanden.« Agenturen/nd

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