Viele Parlamentarierinnen mit Sexismus konfrontiert
Studie: Politikerinnen sind weltweit mit sexistischen Kommentaren, Bedrohungen und Gewalt konfrontiert / Fast die Hälfte erhielten Mord- oder Vergewaltigungsdrohungen
Dass viele Frauen in Parlamenten vertreten sind, ist inzwischen Normalität – wenn auch noch immer in der Minderheit. Mit welcher sexistischen Realität diese Frauen in ihrer politischen Arbeit konfrontiert sind, wird jedoch selten thematisiert. In einer qualitativen Studie der Interparlamentarischen Union (IPU) wurden nun 55 Parlamentarierinnen aus 39 Ländern zu ihren Erfahrungen befragt. Das Ergebnis: Über 80 Prozent waren schon einmal mit psychischer Gewalt konfrontiert, rund zwei Drittel erlebten erniedrigende sexistische Bemerkungen.
»Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Sexismus, Bedrohungen und Gewalt gegen Parlamentarierinnen weit verbreitet sind«, schreiben die Autoren. Frauen in allen Ländern seien diesem Phänomen ausgesetzt. Bei der erlebten psychischen Gewalt handele es sich hauptsächlich um sexistische Bemerkungen (65,5 Prozent), in vielen Fällen aber auch um Mord- und Vergewaltigungsdrohungen (44,4 Prozent) und um stark erniedrigende oder sexistische Bilder und Kommentare in den sozialen Medien (41,8 Prozent).
Problemfall: Männliche Parlamentarier
Die sexistischen Bemerkungen fielen dabei häufig von männlichen Kollegen – sowohl von anderen Parteien, als auch von Parteikollegen. Die Studie zeigt auf, dass Frauen in der Opposition von sexistischen Beleidigungen häufiger betroffen sind als Frauen in Regierungsparteien. Zudem sind junge Frauen psychischer Gewalt mehr ausgesetzt als ältere – und noch einmal verstärkt, wenn sie einer Minderheit angehören.
Einige Parlamentarierinnen berichten von Aufforderungen, die Politik zu verlassen und sich stattdessen um eine Familie zu kümmern. So erzählt eine europäische Parlamentarierin: »Ich habe Emails bekommen, manchmal mit pornografischen Bildern, und der Nachricht: ‘Geh raus aus der Politik und heirate stattdessen.’« Eine afrikanische Politikerin aus der Sub-Sahara sagt, ihr sei vorgeworfen worden, eine schlechte Mutter zu sein. Sie werde zudem gefragt, ob sie lesbisch sei.
Ist es wirklich wichtig, was du sagen willst?
Unter »latentem Sexismus« beschreibt die Studie Situationen, in denen Frauen subtil zum Schweigen gebracht werden. Zum Beispiel legen Männer den Finger auf den Mund und reagieren mit »Schschsch« »wie auf kleine Kinder«, wenn Politikerinnen im Parlament laut reden – während laut sprechende Männer in Ruhe gelassen werden. Eine europäische Politikerin berichtet, selbst Kollegen aus ihrer eigenen Partei würden sie häufig fragen, ob das, was sie in ihrer Rede sagen möchte, »wirklich wichtig« sei oder sie ihre Redezeit übernehmen dürften. Auch sexuelle Gesten wie Luftküsse oder Pfiffe kämen vor.
Ein weiteres Feld der Studie ist die Abbildung der Parlamentarierinnen in den Medien. Demnach beschwerten sich viele Frauen darüber, dass traditionelle Medien sexuell gefärbte Bilder von ihnen verbreitet hätten. Politikerinnen in der Subsahara, Asien, Europa und den arabischen Ländern hätten zudem in den sozialen Medien Fotomontagen gefunden, die sie nackt zeigten, begleitet von herabsetzenden Kommentaren, die darauf abzielten, dass sie kein Privatleben hätten.
Auch mit körperlicher Gewalt sehen sich viele Politikerinnen konfrontiert. Rund ein Viertel der Befragten gaben an, schon einmal gewalttätig angegriffen worden zu sein. Einige wurden ins Gesicht geschlagen, andere geschubst oder geohrfeigt.
Jetzt erst recht
Solche Erfahrungen bleiben nicht folgenlos. Der Studie zufolge sagten über zwei Drittel der Frauen, von den Geschehnissen eingeschüchtert worden zu sein. Fast 40 Prozent räumten sogar ein, dass die Erfahrungen mit psychischer Gewalt sie in der Ausfüllung ihrer Mandate und ihre Meinungsäußerung beeinträchtigten. Dennoch wollen die Befragten nicht aufgeben. Jede zweite Betroffene berichtete dem Sicherheitspersonal oder der Polizei von dem Vorfall – und die große Mehrheit versicherte, durch ihre Erfahrungen mit Sexismus darin bestärkt worden zu sein, ihre Politik fortzuführen und sich von keinem Mann davon abbringen zu lassen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.