»Bitte flüchten Sie weiter!«
Fremdenfeindliche Aufkleber an mindestens 87 Ortseingangsschildern in Westbrandenburg
Gleich an den Ortseingangsschildern hieß es unmissverständlich, dass Flüchtlinge dort keineswegs willkommen seien, dass sie sich wegscheren und ihre Familien mitnehmen sollen. In ungefähr 100 Orten in der Prignitz, in Ostprignitz-Ruppin, in Potsdam-Mittelmark und im Havelland sind die Schilder in der Nacht zum 23. September mit Aufklebern versehen worden, außerdem in den Städten Potsdam und Brandenburg/Havel. Darauf stand: »Bitte flüchten Sie weiter«, »Es gibt hier nichts zu wohnen«, »Refugees not welcome« (Flüchtlinge nicht willkommen) oder »Refugees bring your families home« (Flüchtlinge, bringt Eure Familien nach Hause).
Die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINKE) hatte umgehend eine parlamentarische Anfrage gestellt, um nähere Auskunft über Dimensionen und Hintergründe der Aktion zu erhalten. Die Antwort von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) liegt jetzt vor. Demnach sind 87 Fälle gemeldet worden. So habe in Pritzwalk die Straßenmeisterei solche Aufkleber auf mehreren Ortseingangsschildern entdeckt und Anzeige erstattet.
Die Polizei ermittelt wegen Verdachts auf Sachbeschädigung und Volksverhetzung. Die Täter konnten bislang aber nicht dingfest gemacht werden. Die Aufkleber sind auch im benachbarten Bundesland Sachsen-Anhalt aufgetaucht.
Welche Kosten die Entfernung der Aufkleber in Brandenburg verursacht hat, darüber liegen dem Innenministerium noch keine abschließenden Informationen vor. Das Ministerium weiß jedoch zu berichten, dass allein in einer einzigen Gemeinde die Beseitigung in den Ortsteilen inklusive Anfahrten vier Stunden gedauert und 300 Euro verschlungen habe.
Die Landtagsangeordnete Johlige hat das hochgerechnet und vermutet, dass insgesamt eine fünfstellige Summe zusammengekommen sein müsste. Die »nicht vollständige Ortsübersicht« zeige deutlich, sagt sie, »wie groß der Einzugsbereich war«. Man könne sich gut vorstellen, »welcher große Aufwand für diese Propagandaaktion betrieben wurde«. Das spricht aus Johliges Sicht dafür, dass »organisierte Nazistrukturen« für die Taten verantwortlich sind. »Das zeigt: Die Naziszene ist aktiv und handlungsfähig und wir sollten nicht den Fehler machen, zu glauben, dass sich mit der geringer werdenden Mobilisierungsfähigkeit bei Demonstrationen und Kundgebungen die Aktivitäten der rechten Szene erledigt haben.«
Betroffen waren viele Dörfer, aber auch Städte wie Neuruppin, Perleberg, Bad Wilsnack, Kyritz, Rheinsberg und Wittenberge. Allein 15 Aufkleber wurden an Ortsschildern entlang der Bundesstraße 1 von Potsdam nach Brandenburg/Havel festgestellt.
Damit nicht genug. Schon am 25. Mai haben unbekannte Täter solche Aufkleber in Eisenhüttenstadt angebracht - an den Bürofensterscheiben des Bundestagsabgeordneten Martin Patzelt (CDU). Weiterhin sind Plakate vornehmlich der SPD, jedoch auch der CDU, der Linkspartei und der Piraten zur Landratswahl in Potsdam-Mittelmark am 25. September quer mit der hetzerischen Aufschrift »Wählt keine Volksverräter« überklebt worden. Nach Kenntnis des Innenministeriums sind auf diese Weise allein zehn Großplakate von Landrat Wolfgang Blasig (SPD) verunstaltet worden.
Die Parole »Refugees not welcome« ist bereits Ende 2015, Anfang 2016 in Baden-Württemberg für diverse fremdenfeindliche Flugblätter und Aufkleber verwendet worden. Mit dem Schlagwort »Volksverräter« beschmiert wurden dort auch Plakate verschiedener Parteien zur Landtagswahl im März 2016.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.