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USA droht »Albtraumszenario« nach Präsidentschaftswahl

Wahlanfechtungen aufgrund des knappen Rennens wahrscheinlich / Patt zwischen republikanisch und demokratisch ernannten Richtern im Supreme Court

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist gut möglich, dass die USA nach dem monatelangen Wahlkampf am 9. November etwas benommen aufwachen – und nicht wissen, wer neue Präsidentin oder Präsident ist. Schon im Jahr 2000 dauerte die Auszählung im entscheidenden US-Bundesstaat Florida mehr als einen Monat, bevor der Sieg des Republikaners George W. Bush über den Demokraten Al Gore letztendlich feststand. Vergleicht man die damalige Situation jedoch mit der aktuellen, extrem polarisierten Auseinandersetzung zwischen Hillary Clinton und Donald Trump, fallen große Unterschiede auf – aber auch ein vergleichbares Szenario.

Die Frage nach möglichen Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung und -zuordnung, rückte im Jahr 2000 erst nach der Wahl und wegen des knappen Ergebnisses in Florida in den Fokus. Für den jetzigen Urnengang, sind solch knappe Ergebnisse allerdings in einigen, für die Wahl entscheidenden, Swing-States wahrscheinlich. Und Donald Trump hat bis heute bewusst offen gelassen, ob er eine mögliche Niederlage akzeptiert – folgt man seiner Rhetorik, ist von einem »korrupten System« nichts anderes als Wahlmanipulation zu erwarten. Vor allem aber ist fraglich, ob der harte Kern seiner Anhängerschaft eine Niederlage akzeptieren würde.

Al Gore akzeptierte nach den Wahlen in 2000 schlussendlich, dass die Stimmen in Florida nicht ein weiteres Mal ausgezählt werden. Entschieden hatte dies der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, dessen Jurisdiktion sich Gore nicht nur unterwarf, sondern sie akzeptierte. 2016 droht nun aber »ein Albtraumszenario«, wie es Joshua Douglas, Jura-Professor an der Universität von Kentucky gegenüber AP nennt. Die Ursache hierfür ist im Supreme Court selbst zu finden.

Normalerweise gehören dem Obersten Gericht neun Richterinnen und Richter an, die auf Lebenszeit ernannt werden. Die ungerade Anzahl ist kein Zufall – sie verringert die Wahrscheinlichkeit von Pattsituationen. 2000 fiel die Entscheidung, dass eine erneute Auszählung der Stimmen in Florida gegen die Verfassung verstieße, also jene, die Bush schlussendlich zum Sieg verhalf, äußerst knapp mit fünf zu vier Stimmen. Das Urteil stieß auf breite Kritik, unter anderem wegen der Mehrheitsverhältnisse im Gericht: die eher konservativen Richter stimmten für, die eher als liberal eingeschätzen gegen das Urteil. Nach den kommenden Wahlen ist nun allerdings ein Unentschieden möglich.

In die Amtszeit Obamas fiel die Ernennung von zwei neuen Richterinnen: Sonia Sotomayor 2009 und Elena Kagan 2010. Damit ergibt sich eine erstaunliche Symmetrie im obersten Organ der US-Judikative: Jeweils vier Posten wurden unter demokratischen Präsidenten (Bill Clinton, Barack Obama) , die anderen vier unter republikanischen Präsidenten (Ronald Reagan, George Bush und seinem Sohn George W. Bush) neu besetzt. Der möglicherweise entscheidende Posten ist nach dem Tod von Antonin Scalia am 13. Februar 2016 jedoch vakant. Scalia wurde dem konservativen Lager zugerechnet, so dass jeder Versuch Obamas, anstelle Scalias eine eher liberale Persönlichkeit zu nominieren, auf heftigsten republikanischen Widerstand im Senat und Repräsentantenhaus stoßen musste. Obama hat eine Entscheidung deshalb und angesichts seiner bald endenden Amtszeit in die Hände seines Nachfolgers oder seiner Nachfolgerin gelegt.

Richard Hasen, Wahlrechtsexperte an der University of California, prophezeit gegenüber AP bereits eine Wiederholung der Gore-vs--Bush-Situation – »mit einem zusätzlichen Dreh«: ebenjenem Patt im Supreme Court. Dass die bereits laufenden und am 8. November ihren Abschluss findenden Wahlen angefochten werden, ist hochwahrscheinlich: In vielen Staaten ist ein extrem knappes Ergebnis zu erwarten, Trump kann hinter seine Wahlbetrugsrhetorik kaum zurück und auch die Demokraten haben bereits Gerichte wegen angeblicher Benachteiligung ihrer Wähler angerufen. Die hohe Zahl der bereits abgegebenen Stimmen und die damit einhergehende, reale oder angenommene, Manipulationsgefahr machen Wahlanfechtungen noch wahrscheinlicher.

Die Gerichte müssten im Falle des Falles bis zum 19. Dezember 2016 entscheiden, an diesem Tag treffen sich die Wahlmänner und -frauen. Ob sie dies angesichts des Patts im Obersten Gericht wirklich könnten, scheint fraglich. Sehr wahrscheinlich ist, dass die politischen Schlammschlachten auch nach dem 8. November weitergehen – mit unabsehbaren Folgen: Der Schriftsteller Jonathan Frantzen (»Die Korrekturen«, »Freiheit«, »Unschuld«), scharfsinniger Beobachter von gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA, sieht jedenfalls schwarz: Trumps Kandidatur habe »das zivile Gewebe unserer Nation« schwer beschädigt, äußerte er. Frantzen fürchtet gar, »dass Hillary, falls sie gewählt wird, ihr erstes Jahr im Amt mit bewaffneten Aufständen von Gruppen könnte zubringen müssen, die die Rechtmäßigkeit ihrer Wahl bestreiten«.

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