Erdogan sperrt die Demokratie ein
»Ziviler Putsch«: Empörung, Kritik und Protest nach Festnahmen von Politikern der linken, kurdischen HDP
Berlin. In der Türkei hat die Repression gegen die Opposition mit der Verhaftung der Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie mehrerer Abgeordneter der linken, kurdischen HDP eine neue Dimension erreicht. Die HDP ist mit 59 Sitzen die drittgrößte Partei im Parlament und die wichtigste Vertretung der Kurden. Die Partei sprach vom »Ende der Demokratie in der Türkei«. Die Abgeordnete Feleknas Uca sagte gegenüber »nd«, es sei »ein ziviler Putsch im Gang«. Der autoritär agierende Präsident Recep Tayyip Erdogan wolle »die kurdische Identität zerstören«. Man werde aber »nicht vor diesen diktatorischen Methoden kapitulieren«, hieß es bei der HDP, die »weltweit zu Solidarität mit unserem Kampf« aufrief. Man werde Erdogan daran »hindern, das Land in einen Bürgerkrieg und in weiteren Despotismus zu stürzen«.
Die linkskurdische Partei war 2015 erstmals ins Parlament eingezogen. Erdogans Apparat geht seither immer wieder gegen sie vor; Grund sei, dass sie den AKP-Politiker an der Einführung eines Präsidialsystems hindere: »Da er uns nicht davon abhalten konnte, ins Parlament einzuziehen, schickt er uns ins Gefängnis«, so die HDP. Sie forderte, die »fabrizierten« Vorwürfe gegen ihre Politiker fallenzulassen. Die türkische Regierung begründete ihr Vorgehen mit angeblicher Terrorunterstützung. Die HDP soll demnach die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützen. Diese rief am Freitag zum Widerstand auf. »Heute ist der Tag, sich zu erheben gegen diejenigen, die die Existenz der Kurden auslöschen wollen.«
Bereits in der Nacht zum Freitag gab es erste Proteste gegen die Festnahmen, es folgten weitere, nicht nur in der Türkei, sondern unter anderem auch in Berlin. Die Polizei setzte teils Wasserwerfer und Tränengas, laut Berichten wurden Menschen verletzt. Die Behörden blockierten zeitweise den Zugang zu sozialen Medien.
Die Festnahmen lösten europaweit Empörung aus. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bestellte den türkischen Gesandten ins Auswärtige Amt ein. In einer Erklärung des SPD-Politikers hieß es, es gebe keine Rechtfertigung dafür, »die politische Opposition mundtot zu machen oder gar hinter Gitter zu bringen«. Ähnliche Reaktionen gab es in anderen EU-Staaten und aus Brüssel. Die Istanbuler HDP-Abgeordnete Filiz Kerestecioglu sagte derweil, »es wäre schön, wenn die EU mehr als nur Besorgnis an den Tag legen würde«.
Die Spitzen der Linkspartei und ihrer Bundestagsfraktion erklärten am Freitag, es sei höchste Zeit, dass die Kanzlerin ihre »stillschweigende Komplizenschaft mit der türkischen Regierung« beende. Sie bekräftigten zudem wie auch andere Politiker der Partei ihre Solidarität mit der HDP. Der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, forderte ein gemeinsames Handeln der Bundestagsparteien von CDU bis zur LINKEN. Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe erklärte, es bestehe »leider kein Zweifel«, dass »der Plan zur Entwicklung der Diktatur in der Türkei« voranschreite. Auch er verlangte eine »starke Reaktion«. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warf Erdogan einen »Staatsputsch« vor. Regierungssprecher Steffen Seibert wiederholte am Freitag eine Formulierung, mit der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits zuvor auf den Schlag des Erdogan-Regimes gegen die Oppositionszeitung »Cumhuriyet« reagiert hatte.
Unterdessen sind bei einem Anschlag in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir mehrere Menschen getötet worden. Die Erdogan-Regierung beschuldigte die PKK, für den Autobombenanschlag verantwortlich zu sein. nd/Agenturen Seiten 3 und 5
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