Die Post-Medikamenten-Führerschein-Boten

Gewerkschaften wehren sich gegen die neoliberale Postreform in Frankreich / nächste Etappe aufgeschoben

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die französischen Postgewerkschaften haben eine Schlacht, aber nicht den Krieg gegen die Pläne der Direktion der staatseigenen, aber privatwirtschaftlich ausgerichteten Gruppe La Poste gewonnen. Diese wurde durch die Androhung von Streiks gezwungen, ihr Vorhaben zur Durchsetzung einer weiteren Etappe der Postreform erst einmal bis Ende des Jahres aufzuschieben und in Verhandlungen über die Konsequenzen für die Mitarbeiter einzutreten. Die Reform wurde 2012 eigeleitet und bedeutet für die Mitarbeiter schon jetzt tiefgreifende Einschnitte.

Welch große Unsicherheit und Frustration unter den Beschäftigten herrscht, davon zeugt der Abschiedsbrief des 53jährigen Briefträgers Charles Griffont aus dem Departement Doubs, der sich im vergangenen Juli erhängt hat. »Seit 34 Jahren haben ich meinen Beruf mit Liebe zur Arbeit und zu meinen Kunden ausgeübt. Doch seit einigen Jahren zerstört die Post Stück für Stück ihre Mitarbeiter, die wahren Postler, die den Kontakt mit den Leuten halten. Mich haben sie so systematisch vernichtet.«

Die Gewerkschaften haben den Fall zum Anlass genommen, ein »Ende dieser menschlichen Dramen« zu fordern. Ihren Angaben zufolge haben sich in den letzten drei Jahren neun Postmitarbeiter aus beruflichen Gründen das Leben genommen. »Die Arbeitsbedingungen haben sich radikal verändert«, schätzt der Soziologe Yves Clot ein. »Die Mitarbeiter müssen heute eine ständig hochgeschraubte Produktivität erbringen, während sie einst den Beruf ergriffen haben, um den Menschen öffentliche Dienste zu leisten.« Wie Valéry Mannevy von der CGT - der stärksten Gewerkschaft bei der Post - einschätzt, wird »dem Einzelnen immer mehr Arbeit aufgebürdet, die er beim besten Willen nicht mehr in hoher Qualität erfüllen kann, und seine Autonomie werde immer stärker eingeschränkt«.

2014 und 2015 wurden jeweils mehr als 7 000 Posten gestrichen. Die gravierendsten Veränderungen erleben die 76 000 Postboten, sie werden in dem Konzern am schlechtesten bezahlt. Mit dem Argument, dass wegen der Nutzung von e-mails der Briefverkehr massiv abnehme - einst die »Milchkuh« der Post - und dieser Einnahmeschwund kompensiert werden müsse, wird den Briefträgern immer mehr berufsfremde Arbeit aufgebürdet. Sie müssen Stromzähler ablesen, Befragungen für die Familienkassen durchführen, alten und kranken Menschen ihre Medikamente bringen, deren Einnahme kontrollieren und vieles mehr.

Für die Einschreibesendungen wurden die Briefträger mit Smartphones ausgestattet, berichtet Jean-Yves Segared von der Gewerkschaft CFDT. »Doch mit denen wird gleichzeitig mittels einer völlig wirklichkeitsfremden Software der Arbeitsrhythmus vorgegeben. Danach muss der Briefträger pro Stunde zu Fuß fünf Kilometer zurücklegen, einschließlich Verteilen der Post, Klingeln bei den Kunden und Gespräche mit ihnen.«

Die Diversifizierung der berufsfremden Dienstleistungen, die durch die Post erbracht werden, nimmt teilweise haarsträubende Ausmaße an. So nehmen seit Mitte des Jahres Postmitarbeiter auch Führerscheinprüfungen ab. Gleichzeitig werde das »Kernmetier« der Post ausgedünnt, so dass sich Klagen der Kunden über den schlechter gewordenen Service häufen, stellt die CGT-Gewerkschafterin Valéry Mannevy fest. »Es sind immer weniger Postmitarbeiter da, die man ansprechen kann, und die sind hoffnungslos überlastet.« In den Städten werden immer mehr Schalter wegrationalisiert und durch Automaten ersetzt. Auf dem Land werden nicht nur Postämter, sondern auch nur stundenweise besetzte »Post-Punkte« geschlossen. Für die elementarsten Postdienstleistungen werden vor Ort Geschäftsinhaber oder Handwerker angeworben, die das nebenbei erledigen sollen, oder man stellt den Bürgermeistern anheim, dafür Platz und Mitarbeiter im Rathaus bereitzustellen - allerdings ohne finanzielle Unterstützung durch die Post.

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