Freund und Feind im Streit vereint
Nach dem »Trump-Schock«: Warum die politische Unterscheidung zwischen Links und Rechts jetzt wichtiger ist denn je
Manchmal versteckt sich die größte Weisheit in Kinderliedern. Im Repertoire von Rolf Zuckowski, der als Barde für die Kleinsten bekannt wurde, gibt es einen Song mit dem unscheinbaren Titel »Links und Rechts«. Er soll Orientierungshilfe sein für Heranwachsende, denen die Unterscheidung der beiden Richtungen schwerfällt: »Wer links und rechts nicht unterscheiden kann, der kann was erleben, hört euch das mal an!« Der Vers hätte als dunkle Ahnung funktioniert zur Vorhersage von Donald Trumps Wahlsieg in den USA. Im medialen Sturm gewinnt derzeit die These immer mehr Anhänger, der Triumph des designierten US-Präsidenten habe nichts mit den Kategorien von Links und Rechts zu tun, weil die nicht mehr zeitgemäß seien.
Dabei stimmt das nur auf den ersten Blick. Zwar interessiert die meisten Trump-Wähler nicht sonderlich, ob ihr Favorit linke oder rechte Positionen vertritt. Dass ihnen diese Differenz egal erscheint, ist aber nicht etwa ein Signum für die Überkommenheit von Links und Rechts, sondern ein Zeichen dafür, wie fatal die Fixierung der Meinungsführer auf die »Mitte« sich auswirken kann.
1994 lieferte der italienische Philosoph Norberto Bobbio in seinem Essay »Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung« eine eingängige Definition: »Linke sehen Menschen eher gleich als ungleich, Rechte sehen Menschen eher ungleich als gleich.« Wer das als Kompass verwendet, kommt nicht umhin, zentrale Standpunkte des Donald Trump eindeutig als rechts zu deklarieren. Da müssen die sozialstaatszertrümmernden und rassistischen Inhalte an dieser Stelle gar nicht wiederholt werden.
Spätestens seit 1990 gehört es im politischen Mainstream zum guten Ton, eine Perspektive »Jenseits von Links und Rechts« (so der Titel einer Programmschrift des britischen Soziologen Anthony Giddens) einzunehmen und gegen sämtliche Stimmen rhetorisch hart zu Felde zu ziehen, die nicht bereit sind, die Gegenwart als Zeitalter einer »Klassengesellschaft ohne Klassen« zu bezeichnen. Kritik am Umbau des Sozialstaats sei konservatives Besitzstandswahren, spotteten die Konservativen. Mittlerweile stauen sich alle in der »Mitte«, kaum jemand will an den radikalen Rändern verweilen.
Die neoliberale, auf soziale Ungleichheit zielende (und damit rechte) Wirtschafts- und Sozialpolitik firmiert für staatstragende Sozialdemokraten unter dem Label »Modernisierung«, Grüne und die Piratenpartei schrieben sich den Slogan »Nicht rechts, nicht links, sondern vorne!« auf die Fahnen. Innerhalb der sich noch als links verstehenden Kontexte wiederum denunzieren Tonangebende die sich vorrangig um die soziale Frage kümmernden Aktivisten als »Old-School« und als Ewig-Gestrige.
Heute, da der Klassenkampf gegen ökonomische Ungleichheit diskreditiert ist, entdecken die Rechten diesen Umstand als strategischen Vorteil. Zum einen stimmen sie in den »Wir sind alle Mitte«-Chor ein. Thilo Sarrazin etwa wehrt sich gegen Rassismus- und Klassismus-Vorwürfe so: »Die meisten Themen lassen sich nicht mehr im herkömmlichen Links/Rechts-Schema einordnen.« Die vorwiegend aus Nazi-Hipstern bestehende »Identitäre Bewegung« bedient sich bei den Grünen und ruft: »Nicht rechts, nicht links, sondern identitär!« Zum anderen vermischen Front National in Frankreich, die AfD in Deutschland oder eben Trump linke und rechte Positionen – um dann freudig in allen bürgerlichen Medien gegen Linke gerichtete Kommentare lesen zu können, wonach Rechte linke Codes verwenden und das Ende der Differenz zwischen den Lagern damit ja wohl bewiesen sei.
Rechte können in Debatten dadurch neuerdings die Ungleichheitsfrage für sich beanspruchen und Bobbios Definition konterkarieren. Natürlich nicht im klassenpolitischen Sinn eines Oben und Unten, denn – so wird›s jedem Schulkind eingetrichtert – es gibt ja angeblich kein eindeutiges Oben und Unten mehr. Also stürzen sich die Rechten auf diffuse Wir/Sie-Ungleichheiten, die sich auf die Frage nach Drinnen und Draußen kaprizieren. Warum sonst konnten sich die Konfliktachsen so fundamental verschieben? In einem sozialen Klima, das kein Rechts und kein Links mehr kennt und in dem sogar gestandene Linke nur noch für Identitätspolitik kämpfen, muss niemand mehr über Vermögens- und Eigentumsverhältnisse sprechen.
Neoliberale Thinktanks haben dem Kollektivbewusstsein über Dekaden hinweg die Illusion eingehämmert, »wir« seien eine Wirtschaftsgemeinschaft, die nach streng leistungsgerechten Kriterien funktioniere und im harten Wettbewerb gegen die Konkurrenz von außen verteidigt werden müsse. Das hat die Vorstellung einer homogenen Nation auch in Europa wieder hoffähig gemacht, weshalb es nicht verwundert, wie viel derzeit über Aufnahmekapazitäten und Religion debattiert wird und Massenproteste wie jene gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA massenmedial untergehen.
In den USA standen mit Trump und Clinton zwei Menschen zur Wahl, die prototypisch für die Aufkündigung der Links/Rechts-Dyade stehen. Viele Leute sahen sich lediglich vor eine Geschlechts- und Anstandswahl gestellt, konnten aber keine grundlegenden Alternativen erkennen. Deswegen verweigerten außergewöhnlich viele aus der weißen wie nicht-weißen Unterschicht die Stimmabgabe, derweil zahlreiche von Sozialabbau und Krieg zermürbte Abstiegsbedrohte aus der Mittelschicht mit den rassistischen Wohlstandssnobs unbewusst eine unheilvolle Allianz schmiedeten und Trump unterstützten.
Es mag herablassend klingen, wenn deutsche Linke jetzt den Zeigefinger erheben und sagen: Bernie Sanders hätte Trump besiegt! Die These wird aber auch in den USA bejaht, dort sogar in Mainstreammedien wie »USA Today« und »Washington Post«. Im Gegensatz zu Clinton wäre Sanders eine echte Alternative gewesen. Was seine klassenkämpferischen Ansprachen und seine entschlossenen Fans repräsentieren, ist nichts anders als Populismus. Und das ist auch gut so. Denn ein Wahlkampf zwischen Trump und Sanders wäre anders verlaufen. Es wäre weniger um frauenfeindliche Äußerungen oder um E-Mails gegangen und mehr um politische Inhalte, also um die dann nicht mehr so leicht zu verschleiernden Differenzen zwischen autoritärem Kapitalismus und demokratischem Sozialismus.
Eine solche Konfrontation hätte nicht nur die eingeebneten Gräben zwischen Links und Rechts endlich aufgerissen, sie hätte auch die Unterschiede zwischen einem rechten und einem linken Populismus offenbart: Rechtspopulisten kanalisieren das Unbehagen der Leute in menschenfeindlicher Weise, Linkspopulisten kanalisieren das Unbehagen der Leute in menschenfreundlicher Weise.
Ganz ohne einfache und verständliche Botschaften geht es offenbar nicht. Mit dem ehrenwerten Anliegen, der Komplexität dieser schönen neuen Welt in jedem Satz gerecht werden zu wollen, lässt sich dem Postfaktischen allein nicht beikommen. Die Arbeiterschaft ist zerstückelt in eine noch halbwegs abgesicherte Fraktion der sich vor dem sozialen Absturz retten Wollenden sowie wild nach unten Tretenden einerseits und einer abgehängten Unterschicht andererseits, die durch die liberale Arroganz als Schuldige für den Trump-Hype ausgemacht wurde und sich als Horde voller Dumpfbacken verspotten lassen musste.
Donald Trump ist ein Problem, das der gesellschaftlichen »Mitte« ebenso entsprungen ist wie der Tatsache, dass im politischen Raum die »spezifische Unterscheidung zwischen Freund und Feind« verloren ging, die der rechte Vordenker Carl Schmitt einst ausrief. Anstatt zu betonen, dass die Einteilung in Kriegs- und Armutsflüchtlinge zutiefst inhuman ist, argumentieren die Liberalen, dass die Flüchtlinge »uns« wegen ihrer Qualifikation und Arbeitskraft auch Vorteile bringen. Die bei der Aufnahme von Geflüchteten ohne jede Obergrenze zwangsläufig eintretenden Probleme werden durch Linke verschwiegen, anstatt als Lösung dieser Probleme einen radikalen Eingriff in die Vermögens- und Eigentumsstrukturen zu fordern.
Carl Schmitt ging es bei seinem Plädoyer für die politische Feindschaft nicht, wie häufig angedichtet, um Vernichtung, sondern um das Ende der Illusion, alle Gruppen könnten auf ewig friedlich leben. Da offenbart sich eine Gemeinsamkeit mit Marx und Engels, die behaupteten, alle Geschichte sei eine Geschichte von Klassenkämpfen. Ein Jenseits hegemonialer Ordnungen wird es nie geben, so die Erkenntnis, und darum sollten die Linken dem rechten Aufwind ihre eigene Hegemonie entgegensetzen. Man kann es auch noch einmal mit Rolf Zuckowski formulieren: »Wer links und rechts nicht unterscheiden kann, der kann was erleben, mannomannomann!«
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