Inge Hannemann for President!

Markus Mohr, Aktivist der Autonomen Bewegung, plädiert für eine linke Kandidatin bei der Bundespräsidentenwahl

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 6 Min.

Aus autonomer Perspektive muss die Galerie der deutschen Bundespräsidenten in der gebotenen Zurückhaltung als desaströs bezeichnet werden: Wenn man Gustav Heinemann und mit vielen Abstrichen Johannes Rau ausnimmt, dann ist man mit einer düsteren Bilanz konfrontiert: Diesem Staat standen mehrere Mitglieder der NSDAP, ein Wehrmachtoffizier, ein Schüler des NS-Juristen Theodor Maunz und zwei Karrieristen des Neoliberalismus vor. Der liberale Demokrat Theodor Heuss hatte im Reichstag für Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt und der aktuelle Amtsinhaber hat schon lange seinen Verstand an die Totalitarismusdoktrin abgegeben, mit der es unmöglich ist, die SS-Wachmannschaften der Konzentrationslager von Soldaten der Roten Armee zu unterscheiden.

Vor diesem Hintergrund hat man als Autonomer eigentlich jedes Recht, in Sachen Bundespräsidentenwahl wahlweise müde oder unwirsch abzuwinken. Und dass nunmehr die Sozialdemokraten ihren Außenminister Frank Walter Steinmeier als Kandidaten für die Bundespräsidentschaft erfolgreich präsentieren, illustriert überzeugend, dass zwischenzeitlich auch nicht das Geringste in dieser Angelegenheit besser werden soll.

Kandidat der großen Koalition: Der Machtmakler

Steinmeier kann wahrlich als ein außerordentlich gewiefter Verwaltungsfuchs und Stratege gelten. Als Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt wusste er sowohl den Einsatz der Bundeswehr bei dem Afghanistan-Feldzug 2001 als auch die in die diplomatischer Ablehnung des US-Angriffskrieges gegen Irak 2003 hinein verlegte interessiert-schmiegsame Unterstützung der Bundesregierung für die amerikanischen Streitkräfte erfolgreich zu managen. Im selben Jahr wusste der sogenannte »Steinmeier-Kreis« mit der hier konzipierten Agenda 2010 seine Fäden verdeckt gegen die SPD als Partei und ihre Bundestagsfraktion zu ziehen.

Schon im Oktober 2003 würdigte der Staatspolitologe Karl-Rudolf Korte das effektive wie verborgene Wirken des »Machtmaklers« Steinmeier in dieser Angelegenheit mit dem etwas zu komplizierten Wort eines »Interdependenzmanagements«. Das allerdings mit der in Kauf genommenen Nebenfolge, so Korte klarsichtig weiter, dass es »demokratietheoretisch (...) bedenklich (stimme), wenn immer mehr ›Erwählte‹ an Stelle der ›Gewählten‹ an Einfluss gewinnen«.

In der Übersetzung bedeutet das schlicht, das Demokratie nach Art des Fallmanagers Steinmeier im Wesentlichen darin besteht, dass die Subalternen das Recht dazu haben, stets dem zuzustimmen, was die Chefs in ihrer Güte wie Weisheit vorher ohne sie schon lange beschlossen haben. Und überhaupt wusste Steinmeier als umsichtiger Agent der neoliberalen Verwaltungselite seinen Auftrag, eine Politik zu implementieren – wie man gerne im Technokratendeutsch sagt – die die Reichen in diesem Land noch reicher macht, kundig auszuführen.

Linke Alternative: Das Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte

Die Partei Die LINKE soll ihren bescheidenen, aber vorhandenen Einfluss dazu nutzen, hier ein klares Gegenzeichen zu setzen. Die im Wohnbezirk des ehemaligen Bundesarbeitsministers Olaf Scholz als Beschäftigte beim Jobcenter herausgeworfene Inge Hannemann sollte von ihr als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten aufgestellt werden. Ihre Vita ist dafür ausweislich des aktuellen Wikipedia-Eintrages in jeder Weise tauglich. Dort ist unter anderem nachzulesen, dass sie für ihr Engagement schon mehrere Preise gewonnen hat, einer davon mit dem anregenden Titel »Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte«.

Ein Buch auf Basis ihres Widerspruches gegen die »Hartz-IV-Diktatur« hat sie auch schon geschrieben. Aus ihrer begründeten Sicht hat die Arbeitsmarktpolitik der »Agenda 2010« die »Grundlage für die Entstehung einer neuen Armutsschicht« gelegt, die zu einer »Entsolidarisierung und Entdemokratisierung« führt. In der Betriebspraxis der Jobcenter werde jede »Menge Druck auf die Mitarbeiter« ausgeübt, um Vermittlungen »auf Biegen und Brechen« zu exekutieren. Kurz, so Hannemann weiter, es gehe darum »soziale Arbeit in betriebswirtschaftliche Zahlen umzuwandeln«.

Eine Nominierung von Hannemann ist auch der – nennen wir sie einmal so – bürgerlichen Mitte vermittelbar, zumal sie sich gerade nicht als Rebellin versteht, wie sie selbst sagt, und insoweit in ihrer fundamentalen Ablehnung des Hartz-IV-Regimes auch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Ihre Kandidatur wäre definitiv auch eine Hommage an die etwa zwei Millionen Leute der Jahre 2003 bis 2005, die gegen die Agenda 2010 und damit gegen noch schlechtere gesellschaftliche Verhältnisse auf die Straße gegangen sind, und der die Partei Die LINKE nebenbei auch ihre parlamentarische Existenz verdankt – was von manchen umtriebigen »Gestaltern« in der Partei natürlich verdrängt werden muss: Gedächtnisverlust ist immer ein gutes Schmiermittel dafür, um an den Regierungstopf zu gelangen.

Eine Person mit Ideen und Engagement

Eine Nominierung von Hannemann als Bundespräsidentin ist aus autonomer Perspektive wahrlich kein Königsweg, da in einer glücklichen Gesellschaft derartige Posten natürlich völlig überflüssig sind. Aber anders ist nun mal nicht die Stellung einer Chefin des Bundespräsidialamtes zu erlangen. Wenn sie dann zur Bundespräsidentin gewählt worden ist, hat sie nicht das geringste Recht dazu ihre knappe Zeit zu vertrödeln. Sie steht in ihrer Vita für einiges, stellt aber definitiv noch keine abgelegte Charaktermaske dar, die sich vom Zynismus des herrschenden Politikbetriebes ausruhen muss.

Sie steht mit dem Bundespräsidialamt einer Behörde vor, die immerhin mit einem Jahresetat von weit über 30 Millionen Euro ausgestattet ist. Und die sollte man allerdings nicht wie in der Vergangenheit mit leerem Repräsentationsfirlefanz im Sinne von: »Demokratie ist immer am Sonntag, aber am Montag geht es wieder an die Arbeit …« zum Schornstein herauspusten. Vielmehr können sie nutzbringend dafür aufgewendet werden, die Resistenz gegen das millionenfach ausgeübte Sanktionsregime der Jobcenter zu unterstützen. Und kein Mensch wird es der neuen Chefin des Bundespräsidialamtes verübeln, wenn sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben ihre Genossen und Genossinnen, die sich im Verein Sanktionsfrei.de mit einer Entlohnung vermutlich im Hartz-IV-Horizont engagieren, als Referenten zum Einheitslohn auf Basis eines Facharbeitergehaltes einstellt.

Wem die hier vorgetragenen politischen Argumente für eine Nominierung von Hannemann als Bundespräsidentin noch nicht überzeugt haben, weil er oder sie sich lieber gerne ein Bild von der ganzen Person machen möchte, der kann sich hier eine schöne Reportage über sie anschauen.

WestArt Kultur - Inge Hannemann im Gespräch
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