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Mit Werner Seelenbinder eine Turnhalle gebaut

Der Antifaschist, Arbeitersportler und nd-Leser Alfred Wittig feiert in Berlin-Weißensee seinen 105. Geburtstag

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Sektkorken knallt. Alfred Wittig prostet seinen Gästen zu und ruft dabei fröhlich: »Wohlsein!« Der alte Arbeitersportler und Kommunist, der persönlich mit dem berühmten Ringer und Widerstandskämpfer Werner Seelenbinder bekannt war, feiert am Montag seinen 105. Geburtstag. Dazu gibt es Schwarzwälder Kirschtorte, die Alfred Wittig mit großem Appetit verspeist. »Die Schwarzwälder Kirschtorte ist Tradition«, sagt Wittigs drei Jahrzehnte jüngerer Freund Kurt Schettlinger. Diese Torte gebe es immer zu Alfreds Geburtstag.

Wittig fischt derweil die aktuelle nd-Ausgabe vom Tisch und liest interessiert die Titelseite - ohne Brille! Obwohl er in einem Wohnheim für Blinde lebt, sind die Augen des hochbetagten Arbeitersportlers noch ausgezeichnet. Seine Frau war aber sehbehindert und man hat dem alten Mann nicht zugemutet, sich nach ihrem Tod eine neue Bleibe zu suchen.

Seit vielen Jahrzehnten ist Alfred Wittig treuer nd-Abonnent und aufmerksamer Leser der sozialistischen Tageszeitung. Hören kann er aber nur noch schwer - und so schreiben die acht Gratulanten, die am Montagmorgen gekommen sind, ihre Fragen auf einen Zettel. Zuweilen erzählt auch der eine Besucher dem anderen, was er bereits früher von Alfred Wittig erfahren hat, als dieser noch rekordverdächtig fit war und bei antifaschistischen Gedenkveranstaltungen länger als eine Stunde wie eine Eins dabei stand. Das ist erst wenige Jahre her. Doch heute sitzt Wittig im Rollstuhl.

Viel hat der gelernte Schneider erlebt. Zusammen mit Werner Seelenbinder (1904-1944) und anderen Sportkameraden baute er um das Jahr 1929 eine alte Fabrik in Berlin-Friedrichshain zu einer Turnhalle für den Arbeitersport um. Der Halbschwergewichtler Seelenbinder hatte 1928 bei der Spartakiade in Moskau gewonnen, 1933 wurde er Deutscher Meister und verweigerte bei der Siegerehrung als einziger mutig den Hitlergruß. Bei dem Olympischen Spielen 1936 in Berlin belegte Seelenbinder den vierten Platz. Seine Reisen zu Wettkämpfen im Ausland nutzte er für Kurierdienste im illegalen Kampf gegen Hitler. 1942 flog seine Widerstandsgruppe auf. Er wurde verhaftet, misshandelt und 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet.

Auch Alfred Wittig leistete Widerstand - in einer Gruppe mit Fritz Riedel, Willi Heinze und seinem Schwager Kurt Ritter. Seine drei Genossen wurden 1944 beziehungsweise 1945 ermordet. Wittig, den die Faschisten erst ins Gefängnis und dann ins Strafbataillon 999 steckten, entging diesem Schicksal, da er an der Front in Afrika in Kriegsgefangenschaft geriet und so überlebte.

Manuela Zwantulla, Großcousine von Kurt Ritter und also auch entfernt mit Alfred Wittig verwandt, gehörte am Montag zu den Geburtstagsgästen. Kinder hat Wittig nicht, aber doch einige Freunde und Bekannte wie Kurt »Kutte« Schettlinger, den er aus der DDR-Gesellschaft für Sport und Technik kennt. Schettlinger übernahm vor Jahren die Pflege von Kurt Ritters Grab. Vorher hatte sich Wittig selbst darum gekümmert. Vor 25 Jahren verpflichtete sich Wittig scherzhaft, 100 Jahre alt zu werden. Jetzt wird ein neues Ziel ausgegeben: Auch noch den 110. Geburtstag feiern.

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