Wertevermittler ohne Ausbildung
Zehn Jahre Ethik: Lehrer, Gewerkschafter und Politiker streiten über die Zukunft des Fachs
Janina Bähre ist Ethiklehrerin an der Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg in Neukölln. Sie sagt: »Ethiklehrerin aus Leidenschaft, aber ohne Ausbildung.« Damit steht sie nicht alleine da - und das ist eine Hauptkritik von Lehrern und Aktiven in diesem Feld: 68 Prozent des Unterrichts wird von Lehrern bestritten, die das Fach nicht studiert haben oder diesbezüglich fortgebildet sind. Bähre sagt, oft werde der Ethikunterricht vom Klassenleiter »mitgemacht«. Es gehe zu viel um soziales Lernen, zu wenig um Werte. Auch das andere Extrem habe sie erlebt: »Dann ist es einfach schlechter Religionsunterricht.« Ihr Fazit: »Der Senat muss viel mehr machen.«
Was genau der neue Senat machen sollte, dazu gehen die Meinungen auseinander. Dankfried Gabriel ist Vorsitzender des Fachverbands Ethik, der aus dem Bündnis »Pro Ethik« hervorgegangen ist. Das Bündnis hatte sich als Reaktion auf den gescheiterten Volksentscheid »Pro Reli« 2009 formiert. Gabriel sagt nun, »dass auch religiöse Fragen undogmatisch von allen Schülern in einer Schulklasse gemeinsam diskutiert werden sollen«. Das Bündnis bemängelt, dass Religionen im Unterricht zu wenig behandelt werde, monotheistische Religionen bevorzugt und nichtreligiöse Weltanschauungen sowie Religionskritik vernachlässigt werde.
Die Forderung nach mehr Religionen klingt für einen Fachverband Ethik zunächst befremdlich. Doch er steht nicht allein da. Auch Gerhard Weil von der Gewerkschaft GEW sagt: »In einer Zeit, wo religiöser Fundamentalismus unsere Problematik ist und gleichzeitig die muslimischen Schüler in der Oberschule keinen Religionsunterricht haben, gibt es einen großen Einfluss. Die werden total alleingelassen.«
Mehr Religion ist für Regina Kittler, bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei, keine Option: »Das ist ein Einfallstor, um Religion als Fach wieder einzuführen. Dagegen spreche ich mich aus.« Sie glaube auch nicht, dass man die aktuellen Probleme mit mehr Religion im Unterricht lösen könne. In den Koalitionsverhandlungen sei nicht über das Fach Ethik gesprochen worden, dennoch hat Kittler einen Vorschlag. Sie will darüber diskutieren, den Politikunterricht für die Klassen 9 und 10 einzuführen. »Hier kann man schauen, ob und wie man eine Verbindung zu Ethik zieht.« Sie könne sich zum Beispiel vorstellen, dass man eine Ethikstunde für den Politikunterricht verwende. Eine schleichende Abschaffung des Fachs? »Wir haben einen Volksentscheid, den werden wir nicht antasten«, verspricht Kittler.
Der Ethikunterricht wurde 2006 eingeführt. Oft wird der Mord an der muslimischen Kurdin Hakun Sürücü im Februar 2005 als Anlass genannt. Damals war offensichtlich geworden, dass viele Schüler den Mord an Sürücü verteidigten. Es wurde kritisiert, dass es eine große Anzahl junger Menschen gab, die weder am Religionsunterricht teilnahmen noch eine andere staatliche Werteerziehung genossen. Inzwischen bilden die Humboldt-Universität und die Freie Universität Lehrer im Bereich Fachdidaktik Philosophie-Ethik aus. Der Rahmenlehrplan wurde für das Schuljahr 2017/18 überarbeitet.
Podiumsdiskussion zu »10 Jahre Ethikunterricht« am Mittwoch, 16. November, 19.30 Uhr, im GEW-Haus, Ahornstraße 5 in Schöneberg
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