Dehnungsübungen nach links

Thüringer SPD will das Thema soziale Gerechtigkeit wieder stärker ins Blickfeld nehmen

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Thüringer SPD ist immer für eine Überraschung gut. Häufig für solche, von denen sogar die eigenen Genossen überrascht sind. So auch jetzt, kurz bevor die Landes-SPD am Samstag in Erfurt einen Parteitag abhält. Den Leitantrag, den der Landesvorstand auf dieser Veranstaltung von den Delegierten beschließen lassen will, hat nämlich ausgerechnet eine der Sozialdemokratinnen verfasst, die zuletzt bei vielen Parteifreunden für viel Kopfschütteln sorgte: Diana Lehmann. Im Streit um die Aufnahme des Ex-AfD-Mitglieds Oskar Helmerich in die SPD-Fraktion im Thüringer Landtag hatte die Abgeordnete ihr Amt im Vorstand der Landes-SPD hingeworfen. Und im Streit um Positionen in der Flüchtlingspolitik hatte sich Lehmann, die ihren Wahlkreis in Südthüringen hat, einen Kleinkrieg mit dem Landrat von Schmalkalden-Meiningen, Peter Heimreich, geliefert. Auch ein Parteifreund von ihr.

Das Papier, das Lehmann nun vorgelegt hat und das nach ihren Angaben vom SPD-Landesvorstand einstimmig als Leitantrag für den Parteitag gebilligt worden ist, entspricht indes - das ist weniger überraschend - ganz der politischen Linie Lehmanns, die als Parteilinke gilt. »Der Antrag gibt der Thüringer SPD ein klares politisches Profil«, sagt sie selbst darüber. »Er tritt für die Belange von Beschäftigten ein und für Menschen in schwierigen Situationen.« Auch innerhalb des Bundesgeflechts der Sozialdemokratie, sagt Lehmann, werde sich die Thüringer SPD damit ziemlich links positionieren, sollte der Antrag unter den Delegierten eine Mehrheit finden. Wovon man ausgehen kann.

Ein Kernpunkt des Leitantrages, der zeigt, wie sehr die SPD damit nach links rückt, betrifft das Themenfeld Arbeit und Rente. Da steht zum Beispiel ein Satz, den die eher liberalen Wirtschaftspolitiker um ihren Parteifreund und Landeswirtschaftsminister, Wolfgang Tiefensee, nicht gerne lesen werden: »Unstete Erwerbsbiografien, niedrige Löhne, geringe Mitbestimmungsmöglichkeiten und schlechte Arbeitsbedingungen kennzeichnen, trotz aller positiven Entwicklungen am Arbeitsmarkt, die Arbeitsplätze in Thüringen.«

Eben weil das aus Sicht Lehmanns so ist und Auswirkungen auch auf die zu erwartende Rente der Menschen im Freistaat hat, fordert der Leitantrag die Absicherung aller Arbeitenden in Deutschland über eine gesetzliche Rente. Neben Arbeitern und Angestellten sollten auch Beamte und Selbstständige in diese Form der sozialen Absicherung einzahlen, heißt es in dem Antrag. Das, argumentiert Lehmann, sei wichtig, um die finanzielle Basis der gesetzlichen Rente zu stärken. Gleichzeitig hält Lehmann es für »den falschen Weg«, wenn im Zuge der von ihrer Parteifreundin Andrea Nahles - ihres Zeichens Bundesarbeitsministerin - geplanten Rentenreform nun erwogen wird, verstärkt auf Betriebsrenten zu setzen, um zu verhindern, dass Menschen in die Altersarmut abrutschen. Eine staatliche Förderung von Betriebsrenten etwa lehnt Lehmann ab. Das werde, so Lehmann, nur die gesetzliche Rente schwächen, weil so Geld in die Betriebsrente fließen werde, das eigentlich in die gesetzliche Rente gesteckt werden müsse.

Zudem, sagt Lehmann, drohten erneut die Schwächeren im Osten Deutschlands benachteiligt zu werden, wenn durch eine neue Rentenreform die Betriebsrenten aufwertet würden. »Wir wissen, dass es Betriebsrenten vor allem da gibt, wo wir große und starke Betriebe, starke Gewerkschaften und eine hohe Tarifbindung haben«, so die SPD-Politikerin. Das sei vorwiegend in den alten Bundesländern und im öffentlichen Dienst der Fall. Die dort Beschäftigen seien »aber nicht diejenigen, die zu allererst von Altersarmut bedroht sind«.

In den neuen Ländern und damit auch in Thüringen, stellt Lehmann fest, dominiere dagegen eine klein- und kleinstgliedrige Wirtschaftsstruktur, in der es nur selten Betriebsrenten gebe. »Für die Masse der hier Beschäftigten wird die Betriebsrente deshalb keine Lösung sein. Das ist nicht das Instrument, um die Altersarmut derjenigen zu verhindern, die das ganz, ganz dringend brauchen.«

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