Beschlüsse fürs Schaufenster
Grüne Ankündigungen in der Steuer- und Sozialpolitik sind kein Hindernis für eine Koalition mit der Union
Den meisten Kommentatoren gilt der Bundesparteitag der Grünen am vergangenen Wochenende in Münster als ein Sieg der Parteilinken. Das Bekenntnis zur Vermögensteuer bleibt. Die Hartz-IV-Sanktionen sollen weg und die beitragsfreie Kita eingeführt werden. Das ist alles andere als CDU-kompatibel. Die Parteibasis hat zudem die Ablösung der Staatsleistungen für die Kirchen und die Ablehnung der von den USA geforderten Erhöhung der Rüstungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts durchgesetzt. Hätte man die Absage an eine Koalition mit Kanzlerin Angela Merkel nicht gleich miterledigen können? Nein, denn genau darauf legen die Grünen mit Blick auf den bürgerlichen Teil ihrer Wähler keinen Wert.
Steuerfragen sind Machtfragen
Die Grünen haben in Münster beschlossen, für wen und wofür sie mehr Geld ausgeben möchten. Für neue Investitionsprogramme des Bundes wollen sie elf Milliarden Euro pro Jahr springen lassen. Der Großteil davon, sieben Milliarden Euro, ist für das klientelpolitisch ausgerichtete »grüne Wärmepaket« gedacht. Allerdings verbirgt sich hinter der grünen Verpackung auch ein hübscher Steuerbonus von einer Milliarde Euro, den man Immobilienbesitzern für die energetische Gebäudesanierung diskret zustecken will.
In anderen Bereichen sind die Grünen weniger genau mit den Beträgen, aber nicht weniger spendabel. BAföG-, Wohn- und Kindergelderhöhungen, ein neues Klimawohngeld sowie ein Kitaqualitätsgesetz, das für bundesweite Personalverbesserungen sorgen soll, und die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze sind die Eckpunkte eines durchaus ambitionierten sozialpolitischen Programms. Die Basis der Grünen hat auf dem Parteitag zudem für weitere Ausgaben in Milliardenhöhe gestimmt. Allein die Ablösung der Staatsleistungen für die Kirchen würde im Minimum fünf Milliarden Euro kosten.
Somit stehen zwei Tendenzen unvermittelt nebeneinander: Dem verteilungspolitischen Gestaltungsanspruch steht kein entsprechender steuerpolitischer Gestaltungswille mehr gegenüber. Auch das Bekenntnis zur Vermögensteuer ändert nichts daran. Denn sie bringt keinen Cent für soziale Transferleistungen und Investitionen des Bundes, weil ihr Aufkommen den Ländern zusteht.
Grenzen der Reformbereitschaft
Beim Spitzensteuersatz sind die Grünen einschließlich ihres linken Flügels vom Wahlprogramm 2013 abgerückt. Sie wollten damals ab 60 000 Euro eine Erhöhung auf 45 Prozent und ab 80 000 Euro auf 49 Prozent. Jetzt soll er ab 100 000 Euro greifen. Zur Höhe legen sie sich nicht fest. Eine ähnliche Absetzbewegung findet beim Ehegattensplitting statt. Die Unternehmensteuern werden nicht angetastet. Immerhin soll die Abgeltungsteuer abgeschafft werden, was eine Schnittmenge mit der LINKEN ist.
Wie die Grünen ihre sozialpolitisch telegene Agenda finanzieren wollen, ist kein reines Problem der Buchhaltung. Wer steuerpolitisch so zurückhaltend bleibt, kann oder will sozialpolitisch auch nicht das durchsetzen, was er verspricht. Und nicht nur hier zeigen sich die grünen Grenzen der Reformbereitschaft, sondern auch in der Rentenpolitik.
Dort stehen sie im Wesentlichen zum Status quo. Sie wollen zwar wie auch die LINKE Selbstständige, Freiberufler und Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung aufnehmen. Und sie versprechen, das im Sinkflug befindliche Rentenniveau zumindest zu stabilisieren. Wie sie das ohne eine weitere Korrektur der mit der Agenda 2010 eingeführten Rentensenkungsformel erreichen wollen, bleibt aber ihr Geheimnis. An der gefloppten Riester-Rente halten sie fest.
Das grüne Verhältnis zur Union
Im März 2016 nannte Grünen-Chef Cem Özdemir drei Voraussetzungen für Schwarz-Grün im Bund. »Es geht erstens um den Ausstieg aus der Kohleenergie; zweitens darum, dass sich die Bundesregierung für einen europäischen Marshallplan für Nordafrika einsetzt«; drittens dürfe in der Bildung die »Frage der Herkunft und des Geldbeutels nicht mehr die entscheidende Rolle spielen«. Dies seien »die entscheidenden Maßstäbe, ob Koalitionen zustande kommen«. Damit sandte Özdemir eine frohe Botschaft an die Union: Soziales und Finanzen sind für die Grünen keine Sollbruchstellen. Dies ist beim Münsteraner Parteitag nicht zurückgenommen worden. Und darum ging es dort auch nicht. Vielmehr sollte den disparaten Teilen der eigenen Wählerschaft versprochen werden, was sie hören wollen. Für die linken Unterstützer gab es ein sozial-ökologisches Schaufenster mit schönen Gaben. Und den bürgerlichen Freunden der Grünen ist augenzwinkernd signalisiert worden, dass man sie finanziell weitgehend in Ruhe lassen wird.
Marian Krüger ist Referent für Bund-Länder-Koordination bei der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Helge Meves ist Referent der Linksfraktion.
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