Menschliche Abgründe und ein Gläschen Wodka

Thriller, Dramen, Komödien, Liebes- und Katastropenfilme: Die diesjährige Russische Filmwoche Berlin bietet mehr als nüchternes Schwarzweiß

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Die russische Künstlerdynastie der Michalkow-Kontschalowskis hat zwei Brüder hervorgebracht, Andrej Kontschalowski (Jahrgang 1937) und Nikita Michalkow (Jahrgang 1945), die - zu Recht - international als Meisterregisseure der Filmkunst gelten. Doch während Michalkow in diesem Jahrtausend vor allem als Putin-Vertrauter und autoritärer Vorsitzender des Verbands der russischen Filmschaffenden agierte, drehte Kontschalowski in der Zeit Filme, die aufrütteln und Fragen nach der menschlichen Natur stellen. So veredelt das neue Drama Kontschalowskis, »Paradies«, als eine von zehn brandneuen russischen Produktionen, auch die diesjährige Ausgabe der Russischen Filmwoche.

»Paradies« gewann in diesem Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig den Preis für die beste Regie. Die russisch-deutsche Koproduktion beleuchtet drei menschliche Schicksale im Zweiten Weltkrieg und setzt sich - selten im russischen Kino - mit dem Holocaust auseinander. In mal poetischem, mal nüchternem Schwarzweiß erzählt der Film von dem französischen Kollaborateur Jules, der russischen aristokratischen Widerstandskämpferin Olga und dem deutschen SS-Offizier Helmut.

Die nach Frankreich emigrierte Olga hat zwei jüdische Kinder versteckt und gerät deshalb in die Fänge der unter Pétain mit der Gestapo zusammenarbeitenden französischen Polizei. Deren Kommissar Jules ist sich keiner Schuld bewusst, ebenso wenig wie der Deutsche Helmut (hervorragend: der Dresdener Theaterschauspieler Christian Clauss). Letzterem, der sich aktiv am nationalsozialistischen Massenmord beteiligt, schwebt eine arische Gesellschaft der Übermenschen auf Erden vor. Dass er Olga einst in den Dreißigern im sonnigen Italien kennen gelernt hat und nun im Vernichtungslager wiedertrifft, erzählt der Film elegant und glaubwürdig.

Zwischendurch lässt Kontschalowski im Verfremdungsstil seine Protagonisten wie in einem Interview von ihrem bisherigen Leben erzählen und davon, wie sie sich ihr persönliches Paradies vorstellen. Harte Bilder des KZ-Alltags kontrastieren mit der sehr präzisen Beschreibung der Lebensumstände von Jules und Helmut. So ist Kontschalowski ein beeindruckendes Alterswerk gelungen, das subtil nach dem Wie und Warum menschlicher Abgründe fragt und beim Betrachter lange nachwirkt.

Doch die Russische Filmwoche präsentiert in ihrem Programm auch Thriller, Komödien, Liebesfilme und Dramen, die im heutigen Russland spielen. Dabei präsentiert Renat Dawletjarows Thriller »Reine Kunst«, der heutige Eröffnungsfilm, ein modernes und rastloses Moskau, das wie eine westliche Metropole wirkt. Hier wohnen die Protagonisten in Künstlerlofts oder Designerwohnungen, doch der Materialismus hat seinen Preis. Also bekämpft die junge Fotojournalistin Sascha (Jungstar Anna Tschipowskaja) im Alleingang korrupte Polizisten, raffgierige Kunsthändler und kaltblütige Killer. Überraschungen gibt es kaum, dafür schöne Menschen, viel Action und durchgestylte Bilder.

Um einiges klassischer schildert dagegen der mit einem Budget von zehn Millionen US-Dollar gedrehte Katastrophenfilm »Eisbrecher« (Regie: Nikolaj Chomeriki) die Story einer sowjetischen Crew, die anno 1985 mit ihrem Schiff in der Arktis steckenbleibt und mit einem Eisberg, der Moskauer Bürokratie und dem Kampf zweier Kapitäne (einen davon spielt der wunderbare Sergej Puskepalis) zu laborieren hat. Hier rauft und versöhnt man sich in der klaustrophobischen Atmosphäre des Schiffes und inmitten des unbarmherzigen Eismeeres. Am Ende siegt schließlich - bei einem Gläschen Wodka - Vernunft und Menschlichkeit.

Die 12. Russische Filmwoche findet vom 23. bis 28.11. im Russischen Haus und im Filmtheater am Friedrichshain statt; www.russische-filmwoche.de

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