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Wer hilft, will selbst etwas
Katja Lange-Müller: Der lustvollen Sprachkönnerin gelang ein köstlicher Roman über das Helfen, das manchmal auch daneben geht
Asta Arnold ist nach 22 Jahren Dienst als professionelle Helferin im Ausland nach Deutschland zurückgekehrt. Nicht ganz freiwillig hat sie ihren Dienst in einer Hilfsorganisation beendet. Es gab Irrtümer, es gab Fehlleistungen. Als Asta das Rentenalter erreichte, sammelten ihre Kollegen Geld für ein Flugticket als Dank für die selbstlose Arbeit - aber es hing kein Rücktickett dran.
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* Katja Lange-Müller: Drehtür. Roman. Kiepenheuer & Witsch. 224 S., geb., 19 €.
Es soll so sein, hat Katja Lange-Müller in einem Gespräch gesagt, dass Leute mit Helfersyndrom, »die sind, die nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren sind, die ein bisschen herumgeschubst, nicht besonders geliebt wurden«. Dieses Beleuchten der Gabe des Helfens macht, dass der Roman so richtig gut in die Zeit passt. Zwar ist das Helfen eine der menschlichsten aller Gaben, ist aber in unserem Land und in unserer Zeit schwierig. Die einen wollen Flüchtlingen helfen, dass sie sich wohlfühlen, die anderen wollen nicht helfen. Die, die helfen wollen, können ihre Hilfe durchaus auch mit der Absicht verbinden: Seid jetzt, ihr mit Hilfe Beschenkten, zufrieden und still und so wie wir. Man kommt also bei der Lektüre dieses Romans schon ins Nachdenken übers Helfen. Nicht ohne Selbsterkenntnis.
Der zweite Grund, den Roman »Drehtür« zu empfehlen, sind die Geschichten, die erzählt werden. Helfer-Geschichten, versteht sich. Besonders die Geschichte der Krankenschwester und Kollegin Tamara Schröder, die Schriftstellerin werden will und auf der Buchmesse eine indische Kollegin kennenlernt. Tamara lässt sich zur Hilfe überreden für Frauen in Indien, die von Männern mit Benzin überschüttet und durch Verbrennungen entstellt sind. Was von Tamara erwartet wird, leistet sie, aber es raubt ihr die Lust, weiter Schriftstellerin zu sein. In dieser Episode ging schon mal die Hilfe daneben.
Genauso daneben geht die Hilfe für eine Katze, weil der Freund der helfenden Frau dagegen ist. Oder die Beziehung zu einem Maler. Als ihm nach einer Ausstellungseröffnung - der ersten nach der Ausreise in den Westen - alle Bilder geklaut werden, lässt die Frau an seiner Seite ihn im Stich mit dem Satz: Ich kann dir nicht helfen!
Diese überraschenden, originellen Geschichten machen aus dem Buch vielleicht keinen Roman, lassen sich aber mit Vergnügen lesen. Die große Roman-Komponistin war Katja Lange-Müller bisher nie. Wahrscheinlich rührt das daher, dass sie als lustvolle Sprachkönnerin immer neu die Möglichkeiten der Sprache auskostet, bis der große Erzählbogen unter der Last ihrer Schelmereien zusammenstürzt.
Gleich zu Beginn des Romans spürt Asta dem Wort Blitzgewitter nach. Sie macht das, was Lange-Müller gern macht, sie nimmt’s wörtlich. Es entsteht ein skurriler, manchmal leicht grotesker Witz. Denn von Blitzgewitter kommt sie auf blitzartig und fragt sich, ob das einen artigen Blitz meint. Nicht immer ergeben sich diese Sprachspiele von allein, manchmal scheint nachgeholfen, aber insgesamt sind sie ein logischer Teil der Asta-Figur. Nach 22 Jahren Ausland mag die Muttersprache löchrig werden, dass hin und wieder Vokabeln durchfallen und auf den Boden des Tatsächlichen stürzen. Wie gekonnt und überwiegend lustvoll Katja Lange-Müller mit Sprache umgeht, ist ein dritter Grund, ihren Roman »Drehtür« zu empfehlen.
Wie viel in ihm autobiografischen Ursprungs ist, wird Leser wenig interessieren. Autobiografisch leider ist aber, wie sehr Asta und ihre Autorin ständig in Zigarettenrauch eingenebelt sind. Ganz schafft Asta die Stange Zigaretten aus dem Duty-free-Shop des Flughafens nicht, aber viele Zigaretten bleiben ihr nicht mehr.
Letzte Frage: Warum das Buch »Drehtür« heißt? Es ist das entscheidende Requisit der Roman-Komposition. Durch die Drehtür kommen Personen, die jemandem ähnlich sehen, mit dem sich für Asta eine Geschichte verbindet. Und die muss sie schnell erzählen. Selbst wenn die Drehtür-Krücke nicht für einen souverän gebauten Roman spricht, für das Erzählen von Katja Lange-Müller gibt es viele gute Gründe, es zu empfehlen.
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