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Es brodelt an der Küste

Rainer Höll: Usedom im November und ein spannender Krimi vor realen Hintergründen

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Sieben Tage, die die Welt erschütterten - und das auf der und in der grauen Jahreszeit fast menschenleeren Ostseeinsel Usedom im November. Sieben Tage voller Irrungen und Wirrungen, mit Mord und Totschlag. Nach sieben Tagen ist die Welt wieder in Ordnung - fast. Das wirre Knäuel der Rätsel löst sich.


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* Rainer Höll: Flut über Peenemünde. Kriminalroman. Nordlicht Verlag. 327 S., br., 12,90 €.


Die Handlung des Krimis bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Realität und Fiktion. Real war und ist die Absicht der Landesregierung, im Bunde mit einem Energiekonzern, einen Teil des Peenemünde-Deiches, der nach katastrophalem Hochwasser 1927 errichtet und 1939 von den Nazis zum Schutz ihrer Raketenforschung aufgeschüttet wurde, wieder abzutragen und Naturflächen zu schaffen - als Ausgleich für ein künftiges Industriegebiet. Dagegen läuft seit Jahren der erbitterte Widerstand der Einheimischen und Zugezogenen. Auch Experten warnen in Zeiten globaler Erwärmung und Anstieg der Meeresspiegel vor den Folgen eines Deichrückbaus. Die Bürgerinitiative »Hände weg vom Deich. Gegen Deichrückbau im Inselnorden e.V.« wehrt sich nach Kräften. Spiritus Rector des Widerstandes ist Rainer Höll, promovierter Nordeuropawissenschaftler. Er betreibt auf der Insel einen kleinen Verlag und will, dass die Pläne zum Deichrückbau unwiderruflich aufgegeben werden. Dazu hat er zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen, er hat einen Deich-Kriminalroman geschrieben.

Nun ist das Nazi-Raketenversuchsgelände Peenemünde nicht irgend ein Stück Land, es verkörpert einen Teil der dunkelsten deutschen Geschichte. Hier schufteten Zwangsarbeiter faktisch bis zur letzten Sekunde für den »Endsieg«, hier wurde jene Raketentechnik entwickelt, die später die Erforschung des Weltalls in West und Ost bestimmen sollte. Würde das Gebiet versumpfen, wären die noch erhaltenen denkmalgeschützten Anlagen kaum zu retten. Alle Versuche der Landesregierung, die Pläne durchzusetzen, verbunden mit Intrigen, Manipulationen, Bestechung und Erpressung, haben Höll inspiriert, sich dem Thema mit einem Krimi zu nähern. Er ist direkt betroffen, weiß, wovon er spricht.

Die Geschichte: Der auf dem aufsteigenden Ast schwebende Bürgermeister der Kleinstadt Usedom auf der gleichnamigen Insel verschwindet, im Schilf der Peene wird die verpackte Leiche seiner Geliebten entdeckt. Alles scheint klar und übersichtlich. Ein Kommunalpolitiker, der sich keine Liebschaft leisten darf. Ein Mörder, der seine Nebenfrau beseitigt - aus Eifersucht, aus Angst vor Entdeckung. Eine Kurzschlussreaktion, eine geplante Bluttat - wie und warum auch immer. Doch es ist natürlich alles ganz anders.

Viele Handlungsstränge laufen parallel, die Personen agieren in Gruppen gegen- und miteinander. Wer Freund und wer Feind ist, lässt sich bald nicht mehr ausmachen. Alle Beteiligten haben irgendwo eine undurchsichtige Vergangenheit. Fast alle haben ihre Leichen im Keller. Da tauchen ominöse Symbole auf, für die es keine Erklärungen gibt. Und das Landeskriminalamt mischt im Untergrund fleißig mit. Eine spannende, turbulente, mitunter recht unübersichtliche, in einen Krimi verpackte Verschwörungstheorie. Aber alle Krimis leben ja von geheimnisvollen finsteren Mächten.

Gerade bei der gedruckten und verfilmten Krimiflut reicht es oft aus, die ersten Seiten zu lesen, den Anfang bis zum Mord in den ersten drei Minuten abzuwarten und dann den Schluss zu konsumieren. Bei Rainer Höll muss man von der ersten bis zu letzten Seite durchhalten. Sonst wird man nie erfahren, was an jenem schönen Ostseeplätzchen Usedom eigentlich geschehen ist. Dem Leser ergeht es so wie den drei Ermittlern, die immer wieder vor neuen Rätseln stehen, mit Geschehnissen konfrontiert werden, die sie nicht einordnen können. Ein wenig überfrachtet, aber wohltuend anders als die Fließbandkrimis. Ein Krimi als Protest.

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