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Wozu brauchte man noch das Schlüsselloch?
Alberto Manguel verfasste eine kulturhistorische Hommage auf die Neugier
»Wenn die Neugier nicht wär, müsste ich nicht mehr wandern. Kein Kolumbus führ’ mehr von ’ner Küste zur andern. Doch wo bliebe denn da Amerika, wenn die Neugier nicht wär«, heißt es in der zweiten Strophe eines von Paul Wiens gedichteten und von Perry Friedman vertonten Liedes, das der Oktoberklub sang. Weder diese FDJ-Singegruppe noch das muntere Liedchen wird Alberto Manguel kennen. Aber der in der DDR aufgewachsenen Leserin kam es bei der Lektüre seines Buches sofort in den Sinn. »Knüpflied auf eine Unruhestifterin« ist der Song getitelt, der in jeder Strophe Verse der vorangegangenen aufgreift. So lautet die dritte: »Wenn die Neugier nicht wär, müsste ich nicht mehr wandern. Kein Kolumbus führ’ mehr von ’ner Küste zur andern, und die Tante Nanett, trüge dann keine Brille. Wozu brauchte man noch das Schlüsselloch, wenn die Neugier nicht wär.«
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* Alberto Manguel: Eine Geschichte der Neugierde. S. Fischer Verlag. 324 S., geb., 24,99 €.
Der 1948 in Buenos Aires geborene Schriftsteller, Direktor der argentinischen Nationalbibliothek, hat eine Geschichte der Neugier geschrieben. Folgerichtig der erste Satz: »Ich bin neugierig auf die Neugierde.«
Jeder erinnert sich oder weiß von den eigenen Sprösslingen, dass Kinder ständig »Warum?« fragen. Das kann nervig sein, ist aber wichtig. Hätten die Menschen nicht beständig mehr über die Welt erfahren wollen, in die sie hineingeboren wurden, wie die Dinge in ihr funktionieren, wie Leben entsteht und vergeht - wir würden noch in Höhlen hausen und uns die Haare lausen. »Wir lernen schnell, dass unsere Neugierde nur selten mit sinnvollen und zufriedenstellenden Antworten belohnt wird«, schreibt Manguel. »Dafür weckt sie in uns ein immer größeres Verlangen, noch mehr Fragen zu stellen, und verschafft uns die einzigartige Freude, sich mit anderen austauschen zu können ... Durch unsere Neugier erklären wir unsere Verbundenheit mit der Menschheit.«
Das erkenntnisbringend wie vergnüglich zu lesende Buch ist reich bespickt mit Zitaten großer Denker und persönlichen Erfahrungen des Autors von Kindesbeinen an. Manguel zitiert u. a. das Essay des französischen Humanisten Michel de Montaignes »Que sais-je?« (Was weiß ich), in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verfasst, das auf Sokrates’ Motto »Erkenne dich selbst« zurückgeht. Fragend und forschend vergewissern wir uns stetig neu unseres Seins, unserer Identität.
In den von Dante Alighieri beschriebenen Reichen gibt es zwei Ebenen der Existenz: die der Realität und die der Reflexion über die Realität. Fünf Jahrhunderte nach dem Autor der »Göttlichen Komödie« machte sich ein anderer Italiener daran, die Natur der Wahrheit und der Lüge zu untersuchen: Carlo Collodi, der die Abenteuer des Pinocchios ersann. »Dante und Pinocchio lehren, dass wir die uns umgebende Realität anerkennen müssen, nur so können wir voranschreiten und uns der Erkenntnis unseres wahren Selbst nähern. Die Realität zu verleugnen, macht es uns unmöglich, irgendetwas Wahrhaftiges über sie auszusagen.«
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