Der Sozialdarwinismus und die CSU
Manche Christsozialen schreiben Minderheiten Minderwertigkeiten zu
Kürzlich hat die CSU via Facebook mal wieder gegen Hartz-IV-Leistungsberechtigte ausgeteilt. Eigentlich wollte sie damit vor den Grünen warnen, denn die würden nämlich damit drohen, »Sanktionen für Hartz IV-Schmarotzer [zu] lockern«. Eine derartige Ausdrucksweise hat man zuletzt so ungeniert in den 1930er-Jahren in Deutschland gebraucht. Nun gut – und als Clement Superminister war. Aber das nur nebenbei. Die bayerische Staatspartei strampelt sich offenbar an allen Fronten ab. Sie muss gegen Flüchtlinge mobilisieren und vor Arbeitslosen warnen. Sie wähnt sich umstellt und eingekreist. Und dass es ausgerechnet diese beiden Gruppen sind, gegen die sie keilt, also Fremde und Menschen ohne Job, das ist keine Beliebigkeit. Das sind Anklänge einer alten Theorie, die wissenschaftliche Thesen falsch deutete: Des Haeckelismus nämlich. Falschen Prämissen zu folgen, das kann Wahnvorstellungen erzeugen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass Haeckels Grundlagen in den Wahnsinn treiben …
In Großbritannien nahmen die Thesen Charles Darwins anfangs eigentlich nur die Form einer religiösen Auseinandersetzung an. Die Evolution galt als Angriff auf die Schöpfungslehre und auf diese Weise behandelte man die Theorie. Anders in Deutschland: Da ging man recht flott über die religiösen Bedenken hinweg und man versuchte, den so genannten Darwinismus für die bürgerliche Gesellschaft verwertbar zu machen. Besonders Ernst Haeckel, ein Zoologe, den Darwins Sohn Francis anfangs noch einen »begeisterten Verbreiter« der Idee seines Vaters nannte, sah in der Evolutionstheorie eine Grundlage, die man auf menschliche Gesellschaft anwenden könne. Hatte Darwin noch beschrieben, wie Anpassung zum Überleben der Spezies führte, war es nach Haeckels Deutung mehr oder weniger das Privileg des Leistungsfähigen, sich nachhaltig zu etablieren. Diesem Sinne nach gab es natürlich Individuen und Gruppen, die sich gewissermaßen überlebt hatten. Das waren vor allem Landstreicher, Faulenzer und natürlich auch Mitglieder von Völkern, die im Zuge kolonialer Politik unterjocht wurden. Sie alle trugen in sich das Erbe des Ungeeignetsten.
Haeckel entwickelte aus einer zunächst rein biologischen Theorie ein Konstrukt, das er den sozialen Verhältnissen überstülpte. Sein Gesellschaftsbild war von biologischen Determinanten geprägt und nicht von sozialen Vorbedingungen. Später nannte man dieses Gedankengebäude »Sozialdarwinismus«. Der trat langsam aber konsequent seinen Siegeszug um die Welt an, wurde elitäres Klassenbewusstsein und trieb ebenso langsam und ebenso konsequent in den Wahnsinn. Aus Umerziehungsanstalten und Arbeitshäusern wurden Sterilisationsgesetze und Vernichtungslager. Das ist natürlich ein viel zu kurzer Abriss dieser Entwicklung. In 4.000 Zeichen lässt sich keine Geschichte des Sozialdarwinismus darlegen. Das reicht gerade mal dazu, um den Christsozialen ihre sozialrassistischen Wahnvorstellungen vor Augen zu führen.
Noch immer mobilisiert die CSU als die Wacht des elitären Klassenbewusstsein gegen diese beiden Gruppen: Ökonomisch und sozial Ausgegrenzte und Landesfremde. Das sind so gesehen keine zufällig gewählten Projektionen zum Bashen, sondern sie entstammen dem Weltbild des Evolutionsrassismus, sind ein mit biologischen Attributen aufgeladenes Feindbild und werden nicht als Produkte sozialer Fehlentwicklungen anerkannt. Sie ist eine simplifizierende Methode, um sich der Probleme innerhalb der Gesellschaft gar nicht erst anzunehmen, sie in die Sphäre des Defizits der Betroffenen zu verschleppen. So eine Haltung führt dazu, dass man nicht Armut bekämpft, sondern Arme, dass man nicht Fremdenfeindlichkeit eindämmt, sondern Fremde. Dahinter steckt der bequeme Biologismus der kalkulierten Untätigkeit.
Dieser Herr Haeckel ist zwar schon lange tot. Aber als Landtagsabgeordneter, so möchte man meinen, ist er der Wiedergänger der bayerischen Politik. Noch immer sieht er in Minderheiten Minderwertigkeiten und versteigt sich in den Wahn, dass die Ungeeigneten die Geeigneten so stark bedrohen, dass man bis zur letzten Patrone (Seehofer) gegen sie kämpfen muss. Leben und leben lassen? Von wegen!
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