Boschs Welten
Die Blutzellen von Pfeilschwanzkrebsen schützen vor Bakterien / Die pharmakologische Erforschung der Meeresorganismen ist jedoch erst am Anfang
Unheimlich sehen sie aus, die Pfeilschwanzkrebse, wenn man ihnen im Marschland bei Boston begegnet. Unweigerlich denkt man an die Fantasiegeschöpfe eines Hieronymus Bosch. Wandelnde Stahlhelme mit Messern.
Dabei sind sie absolut ungefährlich - und evolutionär ein echtes Erfolgsmodell! Seit 350 Millionen Jahren bevölkern sie unsere Erde. Oder auch 450 Millionen. Das kommt schon nicht mehr darauf an. Sie haben die Ammoniten überlebt und die Saurier. Ihre Anpassungsfähigkeit ist einsame Spitze. Das macht sie auch pharmakologisch interessant.
Eines ihrer Geheimnisse ist gelüftet. Ihre Blutzellen, Amöbozyten genannt, enthalten ein Gerinnungssystem, das sie unglaublich effizient vor vielen Bakterien schützt. Unerwünschte Eindringlinge und deren Toxine werden sofort von einer gallertartigen Schicht umhüllt und unschädlich gemacht. Als Arzneimittel lässt sich das nicht nutzen, aber ein Extrakt der Zellen ihres milchblauen Blutes, Limulus Amöbocyten Lysat (LAL) genannt, wird international als Test auf viele Bakterien genutzt. Etwa auf solche, die Hirnhautentzündung, Typhus oder die Legionärskrankheit hervorrufen. Impfstoffe, wie gegen Grippe, werden damit vor ihrer Anwendung auf Unbedenklichkeit überprüft. Gleiches gilt für Implantate unterschiedlichster Art.
Die Hufeisenkrebse werden zur »Blutspende« gefangen und anschließend ins Meer zurückgesetzt. Allerdings überleben nicht alle Tiere diese Strapaze. Zwar gibt es erste Gesetze, die die Fangquoten regulieren. Doch noch wichtiger ist, dass man ihre Schutzproteine inzwischen kennt und gentechnisch produzieren kann. Dennoch ist die Gefahr für diese lebenden Fossilien nicht gebannt. Es lauern neue Begehrlichkeiten. Ihr Blut scheint noch andere medizinisch interessante Stoffe zu enthalten: solche, die uns vielleicht direkt vor Viren, Bakterien oder sogar Tumoren schützen könnten.
Und nicht zu unterschätzen - mit einem Liter ihres Blutes ist derzeit ein Erlös von 15 000 Dollar zu erzielen. Diese Summe dürfte so manches ökologische Gewissen betäuben.
Von anderen Meereslebewesen, den Großen Kalifornischen Schlüssellochschnecken, wird der blaue Blutfarbstoff, das Hämocyanin, heute schon direkt verwendet. Aus ihm wird ein Stoff mit stark immunstimulierender Kraft produziert, der in einigen Ländern zur Behandlung des Harnblasenkarzinoms eingesetzt wird. Die Fähigkeit des Hämocyanins, die Immunantwort zu verstärken, hilft überdies bei der Herstellung effizienter Impfseren gegen verschiedene Erreger. Auch bei den Schlüssellochschnecken wird bereits vor dem Problem der Überfischung gewarnt. Doch erste Ergebnisse zu ihrer Haltung in Aquakultur lassen für sie hoffen.
Insgesamt steckt die pharmakologische Erforschung der Meeresorganismen erst in ihren Anfängen. Ihre enorme Vielfalt, die die anderer Lebewesen weit übersteigt, rückt sie mit den darin schlummernden Möglichkeiten zunehmend in den Fokus. (»Journal of Pharmacy And Bioallied Sciences«, DOI: 10.4103/0975-7406.171700) Vermutlich können noch viele Schätze gehoben werden. Hoffentlich geschieht es mit Augenmaß!
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