Schnellbusse gegen Verkehrsinfarkt?
Hessen versäumte jahrelang den systematischen Ausbau von Schienenkapazitäten
Hessens schwarz-grüne Landesregierung will in den kommenden fünf Jahren vier Milliarden Euro für die Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im Sechs-Millionen-Land zwischen Werra, Rhein und Neckar ausgeben. Diese »Rekordsumme« verkündete Verkehrsminister und Vizeregierungschef Tarek Al-Wazir (Grüne) dieser Tage bei der Unterzeichnung einer neuen Finanzierungsvereinbarung mit den Chefs der Verkehrsverbünde in Frankfurt am Main. Gleichzeitig kündigte der Minister die Einführung eines hessenweiten Schülertickets ab Herbst 2017 an, das 365 Euro und damit einen Euro pro Tag kosten soll.
Was Al-Wazir als frohe Botschaft ankündigte, ist bei näherer Betrachtung angesichts eines riesigen, jahrelang angehäuften »Investitionsstaus« allerdings kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein und noch längst keine Trendwende für das chronisch überlastete Verkehrsnetz. So entfällt ein Großteil der vier Milliarden Euro auf Gelder, die der Bund nach einem Schlüssel den Ländern zur Finanzierung von Bahnen und Bussen ohnehin zur Verfügung stellt. Diese Mittel werden nun erstmals seit langer Zeit wieder um Gelder aus dem Landesetat aufgestockt. Damit könne man neue Verkehrsprojekte in Angriff nehmen sowie mehr und längere Züge einsetzen, freute sich Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), Aufsichtsratschef des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV). Doch die von der Landesregierung vorgesehenen 124 Millionen Euro Eigenmittel für den Nahverkehr nehmen sich angesichts der Fülle von Problemen und Aufgaben recht bescheiden aus.
Längst ist die tägliche Fahrt zur Arbeit oder Ausbildungsstätte für viele Hessen ein Abenteuer. Viele Nahverkehrszüge und Busse sind zu Stoßzeiten ebenso hoffnungslos überfüllt wie Schnellstraßen rund um die Bankenmetropole Frankfurt. Mehr Straßen und Fahrspuren ziehen noch mehr Autoverkehr an.
Dabei ist Hessen ein zentrales Transitland für den zunehmenden europäischen Straßenverkehr. Meldungen über schwere Unfälle und blockierte Autobahnen gehören in Regionalmedien zum Alltag. Die Landeshauptstadt Wiesbaden bildet mehrfach ein trauriges Schlusslicht. Im bundesweiten Vergleich gehört sie zu den Großstädten mit dem schlechtesten Radwegenetz. Gleichzeitig ist sie mit 280 000 Einwohnern größte deutsche Stadt ohne innerstädtisches Straßenbahnnetz. Zudem gehört der RMV zu den teuersten Verkehrsverbünden der Republik. So kostet etwa ein Einzelfahrschein von Wiesbaden nach Frankfurt derzeit 8,25 Euro. Ein Fahrschein mit der Berliner S-Bahn für die vergleichbare 40-Kilometer-Strecke von Wannsee nach Ahrensfelde kostet nur 2,70 Euro.
Viele Schienenwege teilen sich Züge des Nah- und Fernverkehrs mit zahlreichen internationalen Güterzügen. Dies bedingt immer wieder Verspätungen, die von innerlich grollenden Pendlern meistens mit stoischer Gelassenheit und Resignation hingenommen werden. Weil jahrelang ein systematischer Ausbau der Schienenkapazitäten und zügiger Neubau von Trassen von den Verantwortlichen bei Bund, Land und Bahn versäumt wurden, sollen nun neue Schnellbuslinien im Ballungsgebiet Rhein-Main Abhilfe schaffen, darunter auch eine Direktverbindung von der Landeshauptstadt Wiesbaden in die Kreis- und Kurstadt Bad Homburg. Ob dies dem Verkehrsinfarkt wirksam vorbeugt, ist auch aus Sicht der Landtagsopposition fraglich. »Geld alleine macht noch keine Verkehrswende«, so der SPD-Abgeordnete Uwe Frankenberger. Die schwarz-grüne Landesregierung verwalte den Status quo und lasse mit einem nachhaltigen Verkehrskonzept auf sich warten. »Ein Ausbau der ÖPNV-Kapazitäten ist dringend erforderlich und es braucht sinnvolle Strategien, Straßenverkehr zu reduzieren und andere Verkehrsträger attraktiv zu machen«, so Janine Wissler von der hessischen Linksfraktion.
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