Goldige Lockenwesen, weichgeknetete Gemüter

»Heilige Nacht«: Bilder und Skulpturen zur Weihnachtsgeschichte im Liebieghaus in Frankfurt

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 5 Min.

Josef will nichts mehr hören. Weder von Engeln noch von heiligen Geistern noch von den anderen unglaublichen Dingen, die Maria ihm erzählt hat, um ihre Schwangerschaft zu erklären. Seine Hand gebietet ihr zu schweigen. Er hat den Mantel schon um die Schultern geworfen, fest entschlossen, seine Verlobte zu verlassen. Das Holzrelief aus dem 15. Jahrhundert ist nur fragmentarisch erhalten, aber es bestätigt, was heute jeder Familienpsychologe weiß: Weihnachten hat viel mit Partnerschaftskrisen zu tun.

Besinnlichkeit hin, Besinnlichkeit her, auch in der christlichen Überlieferung zum Dezemberfest nimmt der schief hängende Haussegen einen festen Platz ein. Was die Bibel nur vorsichtig andeutet, wird im apokryphen, also nichtoffiziellen Evangelium des Jakobus wesentlich spannungsgeladener erzählt: Josef vermutet einen heimlichen Liebhaber. Eine Episode, die der anonyme niederrheinische Meister mit bühnenreifem Gespür für Konfliktdramatik in dem erwähnten Schnitzwerk darstellt.

Ob unbefleckte Empfängnis, Heilige Drei Könige oder Flucht nach Ägypten - die Weihnachtsgeschichte ist keine Geschichte aus einem Guss, sondern ein komplex ausdifferenzierter Vorstellungsraum. Unterschiedliche Quellen sind darin eingeflossen, das biblische Grundgerüst wurde beständig durch neue Erzählbausteine erweitert, inhaltliche Akzente wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verschoben.

Welche Bilder die Legenden von Christi Geburt hervorgebracht haben, führt nun eine prachtvoll bestückte Schau des Liebieghauses in Frankfurt a.M. vor Augen. Denn die Kunstwerke zur bekanntesten Episode christlicher Glaubensliteratur bieten mehr als Krippenspiele mit Ochs und Esel. Ursprünglich richtete sich die kirchliche Kunst an ein Publikum, das die Evangelien nicht lesen konnte - das aber wusste, was Leidenschaft, Furcht und Gewalt bedeuteten.

Folglich sind emotionsbetonte Bilder ein Grundzug des Parcours. Seien es die zierlichen Verkündigungsengel, seien es die Madonnen in anmutiger Keuschheit oder das brutale Abschlachten der Neugeborenen in Jan Polacks Darstellung des bethlehemitischen Kindermords aus dem Freisinger Diözesanmuseum. Die künstlerische Affektregie sollte die Gemüter weich kneten und empfänglich machen für die Botschaft des Glaubens. Trotz der diversen legendenhaften Varianten gelingt es dem Kurator Stefan Roller, die narrative Chronologie der Weihnachtshandlung in eine gut nachvollziehbare Raumfolge zu übersetzen: von der Verkündigung bis zur Rückkehr aus Ägypten.

Noch bevor sich der Besucher in die ersten der rund 100 Exponate vertieft hat, nimmt ihn schon die zauberische Stimmung der nachtblau getünchten Wände gefangen. Ist doch die Beleuchtung auch das wichtigste Assistenzsystem für einen Maler wie Hans Baldung Grien, wenn er in seiner grandiosen »Geburt Christi« (um 1525/30) die Gottesmutter dramatisch angestrahlt aus dem Dunkel heraustreten lässt. Lichtquelle ist dabei der kleine Gottessohn selbst.So grell strahlt er durch Bethlehems Mitternacht, dass sogar der Engel zum Schutz der Augen den Kopf zur Seite dreht. Wichtiger Impulsgeber für die Künstler waren neben den Evangelien mystische Texte wie die Vision der Birgitta. Der Erleuchtungstraum der schwedischen Heiligen bereicherte die holzig knappen Schilderungen der Bibel durch Details wie den Engelsgesang und die Anbetung des Neugeborenen.

Aus gutem Grund liegt der kulturhistorische Fokus der Auswahl auf dem späteren Mittelalter und der frühen Neuzeit. Besonders hinsichtlich der Beziehung von Maria zum kleinen Jesus fanden Gotik und Renaissance zu natürlicheren und auch psychologisch subtileren Lösungen. Wo die byzantinische Tradition kaum je eine lebendige Interaktion zwischen Mutter und Kind zeigt, fängt Maria nun plötzlich an, mit dem durchs Wochenbett tapsenden Christus zu spielen. Anekdotisch genrehafte Elemente erlaubt sich zwischen 1500 und 1510 auch jener Künstler, von dem ein oberschwäbischer Marienaltar - aus dem Ulmer Museum - stammt: Hier ist Josef ein nicht nur fürsorgender, sondern auch fortschrittlicher Vater, der Brei kocht, während ein Engel Windeln trocknet.

Zugleich nähert sich das spätere Mittelalter der Schwangerschaft Marias mit einem überraschend modernen Interesse an weiblicher Anatomie. Eine hölzerne Statuette aus dem Germanischen Nationalmuseum etwa ermöglicht eine Art Röntgenblick in den Uterus der Gottesmutter. Die Figur ist mit einem verglasten Bauchfach versehen, in dem sich ein Christusknabe befindet.

Wer sich Zeit für die Wandtexte oder den Katalog nimmt, erfährt auch, wie die Politik auf die Ikonografie des Weihnachtsgeschehens einwirkt. Die Heiligen Drei Könige etwa waren anfangs nur als die drei Weisen aus dem Morgenland geläufig. Dass sie um das Jahr 1000 von Vertretern reiner Wissensmacht zu weltlichen Herrschern wurden, fällt historisch mit dem Aufstieg der Ottonen zusammen. Versuchte doch die sächsische Adelsdynastie mit dieser Umdeutung die religiöse Legitimation auch ihres Königtums zu untermauern. Seitdem inszeniert man die drei Gabenbringer, zumindest nördlich der Alpen, weitaus triumphaler. Pilgern sie auf einem frühen byzantinischen Elfenbeinrelief noch bescheiden zu Fuß nach Bethlehem, kommen sie etwa im Nürnberger Dreikönigsaltar von Hans Pleydenwurff mit pompösem Gefolge angeritten.

Schließlich bringt die Ausstellung einige unbekannte Nebenakteure der Christusgeburt zurück ins Gedächtnis. Zum Beispiel die Hebamme Salome oder Drachen und Eidechsen, die ebenso wie Ochs und Esel eine symbolische Funktion in der weihnachtlichen Zoologie einnehmen. Und mit dem raumfüllenden Wimmelbild einer neapolitanischen Barockkrippe aus dem 18. Jahrhundert scheut das Liebieghaus auch nicht vor den volkstümlichen Ausläufern des Themas zurück.

Kurzum: Eine informativ aufbereitete Familienschau, die Frankfurt zum bestmöglichen Ziel für den Weihnachtsausflug macht. Auf einen wartet man am Main allerdings vergeblich - aufs Christkind. Denn in der Vorstellungswelt des Mittelalters gab es das goldige Lockenwesen, das uns die Geschenkpakete unter den Tannenbaum wuchtet, noch nicht.

Bis 29.1.17; www.liebieghaus.de

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