Ein Krieg ist keine Pizzabestellung
US-Politikwissenschaftler Bill Whalen: Trump hält NATO-Verpflichtungen ein
Viele Ihrer Kollegen erklären, Donald Trump sei wahrscheinlich nicht geeignet und ganz sicher nicht vorbereitet auf das Amt des US-Präsidenten. Wie ist Ihr Urteil?
In einigen Monaten wissen wir mehr. Tatsächlich hat Amerika noch nie jemanden mit so wenig politischer und Regierungserfahrung gewählt. Ich bin aber durchaus beeindruckt, wie Trump die Übergangsphase bis zu seinem Amtsantritt angeht. Bei seinen Personalentscheidungen bezieht er Insider und Outsider ein, und selbst oppositionelle Demokraten hat er berücksichtigt. Trump ist nicht im traditionellen Sinne qualifiziert. Das hätte bedeutet, dass er, wie bisher in den USA, Inhaber öffentlicher Ämter oder militärische Führer ernennt. Doch seine unternehmerische Erfahrung lässt vermuten, dass er große Vorgänge handhaben und entschlossen entscheiden kann. Ich gehe davon aus, dass er gewissermaßen auf Sicht fährt. Er wird täglich schauen, woher der Wind weht, danach seine Entscheidungen ausrichten und jeweils einen Deal zu machen versuchen. Geben Sie ihm ein Jahr im Amt und lassen Sie uns dann schauen, wo er steht. Entweder wächst er im Amt und entpuppt sich nicht als die Katastrophe, für die ihn manche halten. Oder nicht. Dann wird das System ihn und die Republikaner abstrafen.
In vielem ist Trump eine Black Box. Welchen Kurs erwarten Sie von ihm gegenüber Europa, Deutschland oder Russland?
Ich bin kein außenpolitischer Experte, deshalb möchte ich nicht spekulieren.
Am Rande einer Veranstaltung der Bundeszentrale für Politische Bildung in Berlin beantwortete Politikwissenschaftler William Whalen von der Hoover Institution an der Stanford University in Kalifornien auf Fragen von Reiner Oschmann zur Wahl Donald Trumps als Präsident der USA. Whalen ist häufig Autor auf den Meinungsseiten von »Wall Street Journal« und »Los Angeles Times«. Als Medienberater arbeitete er u.a. für den früheren kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger.
Erwarten Sie angesichts seines Slogans »America first« eher eine isolationistische Politik oder bloß eine unilaterale, ganz auf US-Interessen ausgerichtete?
Trump, der Kandidat, macht jetzt der Realität Trump als Führer der Nation Platz. Isolationistische Rhetorik könnte manchem Amerikaner gefallen, aber in der Wirklichkeit dürfte das nicht praktikabel für einen amerikanischen Präsidenten sein. Wir haben Verpflichtungen gegenüber der NATO, Israel oder Südkorea, die aus der Zeit vor Trump existieren und lange nach ihm fortbestehen werden. Der erste Lackmustest wird sein Umgang mit dem »Islamischen Staat« sein. Für den Fall, dass ihm sein Beraterteam eine militärische Lösung mit Bodentruppen nahelegt - wäre Trump dann Interventionist?
Welche drei Obama-Entscheidungen, außer dem Transpazifischen Abkommen TPP, könnte Trump am schnellsten rückgängig machen?
Er hat sich bereits von früheren Äußerungen zum Klimawandel bzw. von der Absicht distanziert, Hillary Clinton juristisch zu verfolgen. Am schnellsten angehen wird er Steuersenkungen, ein bundesweites Infrastrukturprogramm im Billionen-Dollar-Bereich und Einwanderungsbegrenzungen. Strittige Themen wie Abtreibung und Transgender-Rechte werden ihn, glaube ich, nicht sonderlich beschäftigen.
Der Soziologe Richard Sennett hat gesagt, er schließe in Trumps Präsidentschaft bürgerkriegsähnliche Zustände in kommenden Jahren nicht aus. Plausibel?
Verrückt! Die USA sind eine geteilte, aber in Vielfalt auch vereinte Nation - in punkto Reichtum, »Rassen« und Parteien. Doch das trifft ähnlich auch auf europäische Staaten zu.
Was sagen Sie nach Trumps Drohungen im Wahlkampf zu Meinungen, die mit ihm ein erhöhtes Kriegsrisiko sehen?
Als Reagan Präsident wurde, rückten sogenannte besorgte Wissenschaftler, die die »Countdown-Uhr« erfunden hatten, die Zeiger auf kurz vor Zwölf. Sie glaubten, Reagan sei dabei, uns alle nuklear auszulöschen. Aber es war derselbe Präsident, der beinahe das umfänglichste Abrüstungsabkommen mit Gorbatschow schloss. Ein US-Präsident kann nicht einfach zum Telefon greifen und einen Krieg anfangen, grad so, wie man eine Pizza bestellt. Im Krisenfall läuft ein kompliziertes Verfahren an, das Konsultationen des Präsidenten mit Kabinett und Kongress einschließt. Das amerikanische Verfassungssystem ist so gestaltet, dass der Präsident vor übereilten militärischen Maßnahmen bewahrt wird.
Ersten Äußerungen zufolge könnte sich der scheidende Präsident nach Amtsübergabe aktiv in die Politik einmischen, sollte Trump rücksichtslos mit Obamas Vermächtnis umgehen. Welche Schritte Trumps könnten einen solch beispiellosen Vorstoß des Altpräsidenten auslösen?
Historisch betrachtet gewähren Präsidenten ihren Nachfolgern große Spielräume. Sie überlassen Kritik meist Dritten. Bei Obama könnte es insofern etwas anders werden, als die Frage offen ist, ob er jenseits der Tatsache, erster nichtweißer Präsident gewesen zu sein, ein dauerhaftes Vermächtnis besitzt. Sollten Trump und der republikanisch kontrollierte Kongress die Krankenversicherung »Obamacare« widerrufen, wäre ich nicht überrascht, würde der frühere Präsident einschreiten. Ähnliches könnte passieren, wenn Trump in der Welt herumreiste und den Eindruck erweckte, Obama sei ein Versager gewesen. Auch da könnte Obama reagieren. In der »Rassenfrage« rechne ich fest mit dessen fortdauerndem Engagement. Sollten Bundesstaaten versuchen, Schutzmaßnahmen für Bürgerrechte oder Sozialmaßnahmen in einer Weise zurückzudrehen, die rassistisch motiviert erscheint, wäre ich ebenso wenig überrascht, würde Obama seine Stimme erheben.
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