Schulverweis für Nachrichtendienst
Rot-Rot-Grün will die Arbeit des Verfassungsschutzes auf Kernbereiche reduzieren
Es wird eine Übergangsphase geben müssen. Von heute auf morgen lassen sich die Maßnahmen, die SPD, Linkspartei und Grüne für den Berliner Verfassungsschutz beschlossen haben, sicher nicht umsetzen. In den Verhandlungen zwischen den drei möglichen Koalitionspartnern ging es beim Thema Nachrichtendienst jedenfalls hart zur Sache, wie aus Verhandlungskreisen zu hören ist.
Während Grüne und Linkspartei den Verfassungsschutz nach den Erfahrungen mit dem Umgang mit der Neonazi-Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) perspektivisch abschaffen wollen, hielt die SPD dagegen. Sie hält den Nachrichtendienst wegen seiner »Warnfunktion« in den drei Bereichen »Rechtsextremismus, Islamismus und Linksextremismus« weiter für wichtig. »Wir können in diesen Tagen nicht auf dieses Instrument verzichten«, sagt der Innenexperte der SPD, Frank Zimmermann.
Gleichwohl wollen die möglichen Koalitionspartner beim Nachrichtendienst nicht so weitermachen wie bisher. Unter der Überschrift »Verfassungsschutz reformieren« ist im Koalitionsvertrag unter anderem festgelegt, dass die Tätigkeit des Nachrichtendienstes klar an den Grundrechten und der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet werden soll. Im entsprechenden Kapitel heißt es: »Die Aufgaben werden auf den Kernbereich beschränkt.« Kriterien würden enger gefasst und strenger kontrolliert. Und: »Bei einer sich ergebenden Zuständigkeit der Polizei (Gefahrenabwehr) oder der Staatsanwaltschaft (Strafaufklärung) ist eine eigene Tätigkeit des Verfassungsschutzes in diesem Sachverhalt ausgeschlossen.« Zur verbesserten Kontrolle zählen überdies ein Genehmigungsvorbehalt durch den zuständigen Staatssekretär aus der Innenverwaltung beim Einsatz von V-Personen sowie die Einführung einer Vertrauensperson. Dabei handelt es sich um ein Mitglied des Verfassungsschutzausschusses, das in Zukunft eine Mittlerrolle zwischen dem Gremium und dem Verfassungsschutz ausüben soll.
Die Grünen sind unterdessen mit dem Verhandlungsergebnis zum Bereich Inneres »sehr zufrieden«, wie es Benedikt Lux sagt, der für die Partei zu diesem Thema mit am Verhandlungstisch saß. Lux weiter: »Uns ist es gelungen, durch die Verhandlungen mehr Sicherheit zu schaffen, aber auch die Bürgerrechte zu stärken.« So konnte auch beim Verfassungsschutz die demokratische Kontrolle verbessert werden.
Dass es bei Koalitionsverhandlungen nicht möglich ist, eins zu eins das Wahlprogramm in den Koalitionsvertrag zu übertragen, musste auch die Linkspartei lernen. Dennoch sehen die Sozialisten in den angestrebten Veränderungen »deutliche Verbesserungen«. Vor allem der Vorrang der Polizei im Fall der Gefahrenabwehr und die Genehmigung von V-Personen-Einsätzen seien zu begrüßen, sagt der innenpolitische Sprecher der LINKEN, Hakan Taş. »Das sind Hürden, wodurch eine zusätzliche Kontrolle gewährleistet ist.« Und auch eine Kernforderung der Linkspartei wird umgesetzt: Künftig soll der Verfassungsschutz nicht mehr an Schulen auftreten, um Veranstaltungen durchzuführen. »Die Koalition ist sich einig, dass die politische Bildung nicht zum Kernbereich des Verfassungsschutzes gehört.« Ab wann der Schulverweis für den Nachrichtendienst gilt, steht noch nicht fest.
Die Rückführung auf Kernbereiche bedeutet jedoch nicht, dass die personellen Aufwüchse aus der vergangenen Legislatur rückgängig gemacht werden. Aktuell gibt es laut Isabelle Kalbitzer, der Sprecherin des Verfassungsschutzes, exakt »226,85« Stellen beim Berliner Nachrichtendienst.
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