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Fidels Vermächtnis und Kubas Zukunft

Vor der Beisetzung des Revolutionsführers / Fragen nach Raúl Castros Reformen und Donald Trumps Vorgehen

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 6 Min.

Stundenlang stand Julián Padrón am Montag in der sengenden Mittagssonne Havannas an, um dem verstorbenen Revolutionsführer Fidel Castro die letzte Ehre zu erweisen. »Es ist ein enormer Schmerz, den wir alle spüren. Fidel hat es verdient, dass wir hierher kommen. Das ganze Volk wird kommen, um Abschied zu nehmen.«

Wie Padrón waren Hunderttausende Kubaner von den frühen Morgenstunden bis spät in die Nacht und auch am Dienstagvormittag noch an einem Schrein mit Blumengebinden, Ehrenabzeichen, einer Fotografie des Comandante en Jefe und Ehrenwache im monumentalen José-Martí-Denkmal auf der Plaza de la Revolución im Herzen Havannas vorbeidefiliert und hatten sich in die ausliegenden Kondolenzbücher eingetragen. Padrón ist seit einigen Jahren Rentner. Seitdem kümmert er sich vor allem um seinen geistig behinderten Sohn. Nur mühsam kann er seine Tränen zurückhalten: »Fidel war ein genialer Anführer, der ein halbes Jahrhundert lang dem Imperium der USA widerstanden hat.«

Noch bis Sonntag, wenn Fidel nach seiner letzten Reise durch das Land auf dem Friedhof Santa Ifigenia in Santiago de Cuba seine letzte Ruhe finden wird, dauert die neuntägige Staatstrauer. Vor öffentlichen Gebäuden und Militäreinrichtungen wehen die Flaggen auf Halbmast, auch vor allen Botschaften - mit Ausnahme der US-Vertretung. Das staatliche Fernsehen sendet derweil auf allen Kanälen ein »informatives, patriotisches und historisches« Programm aus Dokumentationen zum Leben Fidels und Beileidsbekundungen aus aller Welt.

Padrón betont das Vermächtnis Fidels: Kuba habe heute die höchste Lebenserwartung in Lateinamerika, es gebe weder Unterernährung noch Analphabetismus, jedes Kind gehe zur Schule. »Mein Sohn wird die ganze Woche über in einer Behinderteneinrichtung betreut. Kostenlos.« Im Ausland war er zwar noch nie, weiß aber, dass sich dort viele keine Krankenversicherung leisten können und auch nicht jeder Zugang zu Bildung hat. Seinem anderen Sohn, der vor einigen Jahren nach Miami abgehauen sei, gehe es schlecht, erzählt er. Streit mit der Frau, keinen Job, wenig Geld. »Ich habe ihm gesagt, er solle zurückkommen. Aber das will er nicht.«

Andere dagegen wollen weg. Lieber heute als morgen. So wie Rodolfo, Anfang 30, der sich seit ein paar Jahren mit Gelegenheitsjobs und »An- und Verkauf« durchschlägt. Damit meine er nicht Drogen, wie er betont. Auf die Frage, ob er auf der Plaza war, antwortet er mit einem spöttischen Lächeln und schüttelt den Kopf. »Unter Raúl hat es in den vergangenen Jahren Verbesserungen gegeben, zum Beispiel der Internetzugang in den Parks. Aber der ist viel zu teuer.« Insgesamt aber gehe es viel zu langsam voran. »Die Veränderungen kommen vor allem Ausländern und Touristen, denen die Geld haben, zugute. Für den einfachen Kubaner hat sich nicht viel geändert.«

Drei von Rodolfos Geschwistern leben in den USA. Zweimal schon hat er einen Antrag auf ein Besuchsvisum gestellt, das aber immer abgelehnt wurde. Dabei will er gar nicht unbedingt dort bleiben. »Mir gefällt Kuba«, sagt er. »Aber eine meiner Schwestern habe ich seit mehr als 15 Jahren nicht gesehen.«

Dann erzählt er, dass er hoffe, dass sich irgendwann Möglichkeiten ergeben, mit Arbeit Geld zu verdienen. Er hat mehrere Jahre auf Baustellen in der Altstadt gearbeitet - ein Knochenjob bei brütender Hitze - und umgerechnet 25 US-Dollar im Monat verdient. »25 Dollar!« Klar lebt niemand in Havanna von 25 US-Dollar. Später arbeitete er in einer privaten Hamburger-Braterei, dort bekam er umgerechnet 10 US-Dollar - am Tag. Zwei Tage Arbeit, dann zwei Tage frei. Lange durchgehalten hat er nicht. Wegen der Transportsituation, wie er sagt. Entweder habe er nach einem Zwölf-Stunden-Tag noch stundenlang auf den Bus warten müssen oder einen Teil des hart verdienten Lohns für ein teures Sammeltaxi ausgeben müssen.

Was er von einem US-Präsidenten Donald Trump erwarte? »Ich hoffe nicht, dass er die Annäherung, die Obama begonnen hat, wieder rückgängig macht. Aber zuzutrauen ist ihm alles. Andererseits ist Trump Geschäftsmann... Und auf Kuba könnten die US-Amerikaner gute Geschäfte machen.« Überzeugt klingt er nicht.

Noch ist ungewiss, ob Trump die von US-Präsident Barack Obama betriebene Annäherung an Kuba rückgängig macht. Im Wahlkampf hatte Trump sich von seinen Parteirivalen abgesetzt, indem er wie Obama die US-Blockadepolitik für gescheitert erklärte. Erst zum Ende des Wahlkampfes, beim Werben um konservative Wähler in Florida, erweckte Trump den Eindruck, er werde Obamas Politik zurücknehmen. Mit Mauricio Claver-Carone hat er einen scharfen Kritiker des Annäherungskurses in sein Team aufgenommen.

Zwar kann Trump den vor allem auf präsidialen Exekutivvollmachten beruhenden Annäherungskurs relativ einfach beenden - er benötigt dafür nicht den Kongress -, dürfte aber auf Widerstand jener US-amerikanischen Unternehmen stoßen, die fest mit Geschäften auf der Karibikinsel gerechnet haben.

Mit seiner aggressiven Rhetorik inmitten der Trauerfeierlichkeiten zum Tod Fidels scheint der designierte US-Präsident Trump sich aber bereits in die Gruppe jener einzureihen, die meinen, mit Druck Veränderungen auf Kuba bewirken zu können. Mit dieser Politik der Arroganz aber sind zehn US-Präsidenten mehr als 50 Jahre lang gescheitert

Reince Priebus, designierter neuer Stabschef im Weißen Haus, zählte jene Bereiche auf, in denen man Zugeständnisse erwarte: »Unterdrückung, Marktzugang, Religionsfreiheit, politische Gefangene.« Trump drohte per Twitter, wenn Kuba nicht bereit sei, einen »besseren Deal« einzugehen, werde er diesen aufkündigen.

Ligdana, die einen Teil ihrer Wohnung im Stadtteil Centro Habana an Touristen vermietet, hofft, dass es nicht soweit kommt. Die aufgeräumten Zimmer sind in hellen Pastellfarben gestrichen, an den Wänden viele Bilder. Als »Arbeiterin auf eigene Rechnung«, wie Kubas Kleinunternehmer genannt werden, gehört die junge Frau zu jenen Kubanern, die von Raúl Castros Öffnungskurs profitieren. Kubas Regierung hatte in den vergangenen Jahren die Wirtschaft für ausländische Investitionen geöffnet, den Staatssektor reduziert, den An- und Verkauf von Immobilien legalisiert und mehr Privatinitiative zugelassen. Hunderttausende haben sich seitdem selbstständig gemacht.

»Es gibt viele Errungenschaften: unser Gesundheits- und Bildungssystem, die Sicherheit auf den Straßen. Aber es wurden eben auch viele Fehler begangen«, sagt Ligdana. »Ohne Fidel, auch wenn er seit zehn Jahren nur noch im Hintergrund gewirkt hat, wird es Veränderungen geben. Ich glaube, Kuba wird sich weiter öffnen.« Jetzt, da Fidel Raúl nicht mehr über die Schulter schaue, wie sie hinzufügt.

Das hört man immer wieder. »Raúl wird 2018 abtreten, und die neue Generation hat nicht dieselbe Legitimation wie die historische Garde. Dann kommt die wirkliche Zäsur.« Ligdana hofft, dass Raúl bis dahin weiter reformiert, aber viel hänge von den USA ab. »Wenn ich an Trump denke, ist mir ein wenig mulmig«, sagt sie. Ihr Lächeln ist plötzlich verschwunden. »Er könnte alles, was Obama angestoßen hat, wieder zurücknehmen, die ganze Annäherung zwischen den USA und Kuba…«

Doch den Gedanken wischt sie schnell beiseite.

Dann entschuldigt sie sich. Gleich treffen neue Gäste ein - ein Ehepaar aus den USA.

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