Wie die Schwaben-Klischees entstanden
Eine Ausstellung in Stuttgart untersucht Mythos und Wirklichkeit des Ländles im deutschen Südwesten
Ihr unermüdlicher Fleiß, ihre geradezu penible Reinlichkeit, ihre an Geiz grenzende Sparsamkeit - und ihre recht merkwürdige Sprache. »Die Schwaben. Zwischen Mythos und Marke« ist der Titel einer ersten umfassenden Ausstellung über die berühmt-berüchtigten Bewohner jenes Ländles im deutschen Südwesten. Doch der Klischee-Check im Stuttgarter Landesmuseum Württemberg zeigt: Schwaben gönnen sich auch mal was, sie kehren nicht jeden Tag ihr Treppenhaus - und sie haben auch nicht alle einen Bausparvertrag.
Schwaben sind sparsam:
Ob man es glaubt oder nicht: Die Region um Stuttgart - heute eine der deutschen Boomregionen - war einst bettelarm. »Es war eine Armutsgesellschaft, ganz klar«, erzählt der Kurator der Stuttgarter Ausstellung, Frank Lang. Ökonomischer Zwang habe die Schwaben also zu den sparsamen Menschen gemacht, für die man sie heute hält. Lang leitet daraus auch ihren Hang zu Dingen ab, die wertbeständig sind: Wenn sich Schwaben mal was leisten konnten, sollte es auch möglichst lange halten.
Schwaben werfen nichts weg:
Die Wurzeln dieser angeblichen Eigenschaft der Schwaben sieht Eberhard Fritz, Leiter des Archivs des Hauses Württemberg in Schloss Altshausen, im Religiösen. So habe die Bescheidenheit des frömmelnden Pietismus' ausgestrahlt. Die achtlose Vernichtung von Lebensmitteln galt als moralisch verwerflich. »Religiös betrachtet, veruntreute man damit von Gott gegebenen Segen, aber griff damit auch die eigenen Reserven an«, schreibt Fritz. Diese Einstellung habe sich bei vielen Menschen der Region auch im Wohlstand gehalten. Dass Schwaben humorlos sein sollen, führt Lang ebenfalls auf die Werte des Pietismus' zurück.
Schwaben sind fleißig:
Dass Schwaben mal als ausgesprochen faul galten, wisse man heute eigentlich nicht mehr, sagt Volkskundler Lang. Das Klischee des fleißigen Schwaben habe sich im 19. Jahrhundert festgesetzt. Fleiß sei die Form der Armutsbewältigung gewesen und zu Zeiten der Industrialisierung als die Chance für eine ganze Region begriffen worden, erzählt Lang weiter. Zwar sei der Schwabe heute durchaus in der Lage, sich mal was zu gönnen. »Fleiß ist aber auch heute noch ein Wert, vor allem auf dem Land - etwa in der Landwirtschaft mit Nebenerwerb.«
Schwaben haben Putzwut:
Dass Schwaben reinlicher sind als andere, bezweifelt Lang. Die sagenumwobene Kehrwoche, also das wöchentliche Straßenfegen im Turnus unter den Mietparteien, sei vermutlich Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen, als größere Mietshäuser in Stuttgart entstanden. Auf dem Land habe ohnehin jeder vor seiner eigenen Tür gefegt, oder eben nicht. Der Kern der Kehrwoche sei daher vermutlich nicht in ausgeprägter Reinlichkeit zu suchen, sondern in einem besonderen Gerechtigkeitsempfinden. »Es ging um die gerechte Verteilung allgemeiner Arbeiten«, so Lang.
Schwaben sind cleverer:
Nur zu gern stellt sich Baden-Württemberg als Land der Tüftler und Erfinder dar. Daimler oder Bosch sind die Ikonen. In jedem Dorf gebe es einen Weltmarktführer, heißt es. Die Wurzeln für dieses Klischee, das gezielt gepflegt wird (»Wir können alles. Außer Hochdeutsch«), sieht Lang am Ende des 19. Jahrhunderts und nach dem Ersten Weltkrieg. Zwar preise sich der Südwesten immer mal wieder als Land mit übermäßig vielen Patentanmeldungen, Lang ist da aber skeptisch. Wenn Weltunternehmen die Erfindungen ihrer Mitarbeiter am Stammsitz Stuttgart anmelden, zeige das letztlich nur das riesige Potenzial der Mitarbeiterschaft. »Rückschlüsse auf Wesenszüge der Bevölkerung zu ziehen, ist problematisch.«
Schwaben sind Häuslebauer:
Das Lied »Schaffe, schaffe, Häusle baue« aus den 1960ern machte aus den Schwaben über Nacht ein »Volk der Häuslebauer«. Dass große Bausparkassen bis heute hier ihren Sitz haben, trug zusätzlich dazu bei. Dabei sagt die Statistik laut Lang etwas ganz Anderes: Im Saarland leben 63 Prozent der Menschen in selbst genutztem Wohneigentum, in Rheinland-Pfalz 58 Prozent - und in Baden-Württemberg gerade mal 48 Prozent. dpa/nd
Die Ausstellung »Die Schwaben. Zwischen Mythos und Marke« ist zu sehen bis 23. April 2017 im Landesmuseum Württemberg (Altes Schloss), Stuttgart, Schillerplatz. 6.
Di bis So, 10 bis 17 Uhr
Eintritt: Erwachsene 13 Euro, Kinder und Jugendliche 3,50 Euro
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