Täglich grüßt der Muezzin
Israelische Rechte wollen muslimische Gebetsrufe per Lautsprecher verbieten / Kritiker gehen derweil ungewohnte Allianzen ein und suchen den Dialog
Es ist eine Routine, die normalerweise kaum noch jemand wirklich wahrnimmt, weil sie zum Alltag gehört: Früh morgens und am späten Abend ertönt überall in Israel der Adhān, der muslimische Gebetsruf, und verteilt einen Hauch von Nahost in einem vielerorts ansonsten überaus westlich geprägten Land. Ungefähr zur gleichen Zeit rückt in vielen Stadtteilen Tel Avivs, Haifas oder Jerusalems die Müllabfuhr an, um krachend-polternd die Müllcontainer zu leeren.
Doch Forderungen, die Entsorger dazu zu bringen, endlich einmal zu zivilen Zeiten ihrer Arbeit nachzugehen, werden schon seit Jahrzehnten zurückgewiesen. Stattdessen hat es nun eine Initiative ins Parlament geschafft, die sich die Gebetsrufe vornimmt: Religiösen Einrichtungen solle die Benutzung von Lautsprechern verboten werden. Das fordert ein Antrag der der Siedlerbewegung nahe stehenden Partei »Jüdisches Heim«, betroffen wären vor allem Moscheen. »Ich will damit ausschließlich die ständigen Ruhestörungen unterbinden, die von den Gebetsrufen ausgehen«, rechtfertigt sich der Abgeordnete Motti Jogev, der den Entwurf geschrieben hat.
Enormer Widerstand
Eigentlich hätte das Parlament in dieser Woche über den Antrag abstimmen sollen. Doch auf Geheiß von Regierungschef Benjamin Netanjahu wurde die Initiative in letzter Minute von der Tagesordnung gestrichen. Der Grund: Es drohte eine krachende Niederlage.
Jogev und andere Befürworter des Gesetzes stören sich daran, dass muslimische Gemeinden Lautsprecher einsetzen, die angeblich oft lauter gestellt sind, als es tatsächlich notwendig ist. »Das ist eine Provokation«, sagt Jogev und führt dabei immer wieder das Beispiel einer Jerusalemer Moschee an, die am Jom Kippur 2015 tagsüber Stunden lang Gebetsrufe abspielte.
Doch der Widerstand gegen das Gesetz ist enorm: Ende November bejubelte beispielsweise die Hamas die Flächenbrände in Israel als »Strafe Gottes für das Verbot des Gebetsrufes« und arabische Hacker unterbrachen das Programm mehrerer Fernsehsender um dort einen muslimischen Gebetsruf einzublenden. Aber auch innerhalb der israelischen Rechten sowie bei religiösen Juden ist die Kritik groß und hat ungewöhnliche Allianzen geschaffen.
Ungewöhnliche Bündnisse
»Wir brauchen Dialog, keine Gesetze«, sagt Rabbi Jehuda Glick, Abgeordneter für den Likud, der am Montag zusammen mit dem arabischen Abgeordneten Zuheir Bahloul vom linkszentristischen »Bündnis Zionistische Union« eine Konferenz abhielt. Dabei könnten Glick und Bahloul nicht gegensätzlicher sein: Glick ist Anhänger der Einstaaten-Lösung und fordert, dass Juden auf dem Muslimen als »Haram al Scharif« heiligen Tempelberg beten dürfen. 2014 wurde er von einem Attentäter des »Islamischen Dschihad« angeschossen und schwer verletzt. Bahloul hingegen macht sich vor allem für eine gemäßigtere Politik der arabischen Parteien in der Knesset stark.
Das ungewöhnliche Bündnis erklärte der Rabbi Glick mit einer grundlegenden Überschneidung der Interessen: »Ich kann nicht für mich Religionsfreiheit fordern, und sie anderen Religionen verbieten,« so Glick. Scheich Muhammad Cayuan, Vorsitzender des Kommittees der Imame in Israel, stimmt ihm zu: »Wir haben schon jetzt sehr viel durch Gespräche erreicht«, sagt er. So hatten sich schon vor der Initiative in vielen jüdisch-muslimischen Kommunen Kommittees gebildet, die über das Miteinander beraten. Seitdem über das Gesetz diskutiert wird, entstanden weitere solcher Arbeitsgruppen. »Das Gesetz war auch für uns ein Weckruf«, so Cayuan: »Man ist sich oft nicht bewusst, wie viel die Nachbarn mitbekommen.«
Vorfälle wie der jener Jerusalemer Moschee seien die Ausnahme befindet Cayuan und selbst der Initator der Gesetzesinitiative Jogev räumt das ein. Ihm persönlich würde das Verbot der Lautsprecher im übrigen nichts bringen: Er wohnt in Dolev, einer Siedlung in den besetzten Gebieten. Das Gesetz wiederum würde nur im israelischen Staatsgebiet, in Jerusalem und auf den Golanhöhen gelten.
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