Empathische Bekenntnisse

Christoph Ruf über die außergewöhnliche Rede von Freiburgs Trainer Christian Streich

  • Lesedauer: 4 Min.

Christian Streich wohnt seit über drei Jahrzehnten in Freiburg, er hat dort studiert und beim Freiburger FC, dem Deutschen Meister von 1907, Fußball in der zweiten Liga gespielt. Seit gut 20 Jahren arbeitet er nun beim Sportclub. Zuerst als Jugend-, dann als Cheftrainer. Die Kneipen, Cafés und Restaurants, in denen es in den vergangenen Wochen nur noch ein Thema zu geben schien, kennt er - an der Stelle, an der Maria L. ermordet wurde, ist er mehrere hundert Male vorbeigejoggt. Er wohnt in dem Stadtteil, in dem sie ermordet wurde.

Am vergangenen Donnerstag wurde dem studierten Pädagogen eine Frage gestellt, die über das anstehende Punktspiel gegen Darmstadt 98 hinausging. Man fragte ihn, wie er die Stimmung in seiner Heimatstadt und in dem Land, in dem er lebt, empfinde. Eine naheliegende Frage, merkwürdigerweise aber eine ungewöhnliche in dem Berufsfeld, in dem er tätig ist. Streich antwortete mehrere Minuten lang:

»Die Generalverurteilung von Menschen gibt es, solange es Menschen gibt. Wir kennen das aus diesem Land sehr gut. Damals war es keine Bevölkerungsgruppe, es waren ja Deutsche und es war einer religiösen Zugehörigkeit geschuldet. Also: Du warst eben katholisch, evangelisch und in dem Fall warst du jüdischen Glaubens. (...) Und jetzt ist da dieser junge Mann aus Afghanistan, der etwas ganz Schlimmes gemacht hat. Dann sind es: die Afghanen. Oder: die Ausländer.«

Und: »Mir wurde mitgeteilt, dass ein Mensch aus der AfD den Vater der Maria, der dieses Furchtbare erleben musste, als pathologisch bezeichnet hat, weil er vor dieser Tat Flüchtlinge unterstützt hat. Dass jemand in diesem Land aus einer als demokratisch geltenden Partei jemanden, der so etwas erleben musste, noch verhöhnen darf. Da sehen Sie, was los ist.«

Der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Fraktion im Schweriner Landtag, Holger Arppe, war es, der einem Mann, der gerade seine Tochter verloren hatte, »pathologische Realitätsverweigerung« vorwarf. Wer so etwas sagt, beweist zweierlei: Dass er vor lauter Ideologisierung keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Und dass ihm jede Spur von Empathiefähigkeit abhanden gekommen ist. Genau das scheint allerdings ein Problem bei vielen AfD-lern und Pegidisten zu sein. Sogar wenn sie mal Missstände benennen, über die man tatsächlich diskutieren muss, merkt selbst der unpolitischste Mensch sofort, dass man das nicht unter den Vorzeichen tun darf, die sie setzen. Einfach, weil ihnen jede Bereitschaft dazu fehlt, Menschen als Menschen zu sehen und sich in sie hineinzuversetzen.

Wer mit Parteigängern aus dieser Klientel über den Freiburger Mord sprach, merkte dann auch schnell, dass gar nicht erst der Versuch unternommen wurde, in dem 17-jährigen Mörder etwas anderes zu sehen, als einen von vielen, die angeblich genauso seien. Auch über das Opfer, dessen Schicksal diese Leute angeblich so erschütterte, wurde oft ohne jede innere Anteilnahme gesprochen. Da Maria L. sich für geflüchtete Menschen eingesetzt hatte, war sie »politisch fehlgeleitet«, wie einer schrieb. Andere sprachen es auch aus: »selbst schuld«, »hat sie jetzt davon«. L. wurde instrumentalisiert, zur Kronzeugin für die eigene Ausländer-raus-Agenda umgewidmet.

All das hat Streich erkannt und benannt. Nicht nur, weil er schon mal ein Buch gelesen hat, nicht nur, weil er sich mit der Geschichte des Dritten Reiches befasst hat. Sondern, weil er ein Mensch ist, der merkt, wie es den Menschen in seinem Umfeld geht, weil er Empathie besitzt. Das alleine genügt, um gegen die AfD von Grund auf immun zu sein.

Nun stellt sich allerdings eine andere Frage: die, warum es eigentlich immer Streich sein muss, der sich auch mal zu den Dingen äußert, die wichtiger sind als falsche Abseitsentscheidungen. In einer Branche, die so gerne von den »Werten« redet, die sie angeblich vertritt, und die jede Champions-League-Übertragung mit dutzenden inhaltsleeren Floskeln à la »No to racism« garniert, ist er einer der wenigen, der schon mal zu erkennen gegeben hat, dass für ihn die Frage, wie eine Gesellschaft zusammenleben will, mehr Aufwand wert ist, als dazu nötig ist, wohlfeile Null-Sätze durch die Republik zu jagen, die 99 Prozent der Menschen unterschreiben könnten.

Wer ein Problem beim Namen nennt, kann es nicht gleichzeitig allen Recht machen wollen. »Man muss sich jetzt bekennen«, hat Christian Streich gesagt. Recht hat er.

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