Einig im Ruf nach mehr Referenden

Niederlande: Nach Verurteilung Geert Wilders steigt seine Gunst in den Wählerumfragen

  • Steffi Weber, Amsterdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Drei Monate vor den Parlamentswahlen im März buhlen in den Niederlanden mehr Parteien denn je um die Gunst der Wähler. Fast wöchentlich entsteht eine neue Protestpartei. Drei kommen aus der Bewegung, die das Referendum über das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine im April organisiert hatte. Die meisten sind rechts und gegen die EU und das Establishment eingestellt. Damit treten sie in Konkurrenz zur Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders.

Der Zähler auf der Seite des populären Blogs »GeenStijl« steht auf 244. Das soll heißen: So viele Tage schon »ignoriert« Ministerpräsident Mark Rutte bereits das Ergebnis des Ukraine-Referendums. 32 Prozent der stimmberechtigten Niederländer waren am 6. April an die Urne gegangen und mehr als 60 Prozent hatten gegen das Abkommen gestimmt.

Die satirische Website »GeenStijl« - Slogan: voreingenommen, fadenscheinig und unnötig verletzend - war eine der Initiatoren des Referendums und fordert nun die direkte Umsetzung des Bürgerwillens. Der Rechtsliberale Ministerpräsident Rutte (VVD) tut sich indes schwer, wie mit Votum, das beratenden Charakter hat, umgegangen werden soll.

Für die Initiatoren war das Ergebnis des Plebiszits freilich ein durchschlagender Erfolg, der Appetit auf mehr gemacht hat. Gleich drei der Initiatoren präsentierten sich in den vergangenen Monaten als Spitzenkandidaten neu gegründeter Parteien. Wichtigste Forderung bei allen: mehr direkte Demokratie, die Stimme des Volkes soll endlich gehört werden.

Am weitesten geht darin wohl Ex-GeenStijl-Journalist Jan Dijkgraaf, der am vergangenen Montag seine Partei GeenPeil präsentierte. Wenn man es denn eine Partei nennen will, denn ein Programm oder eine Ideologie gibt es nicht. GeenPeil, 2014 als Initiative entstanden, gibt sich als lebende Stimmmaschine: Über jedes Thema, das im Parlament besprochen wird, will die Partei ein virtuelles Mikro-Referendum abhalten, an dessen Ergebnis sich die Abgeordneten zu halten haben. So will Dijkgraaf »die Demokratie retten vor Berufspolitikern, die ihre Wähler hassen.« Über Rutte und das Referendum sagte er: »Rutte ist der Angreifer, der zwar hört, dass die Frau Nein sagt, aber dennoch nicht aufhört, weil sie ihm zufolge eigentlich Ja meinte.«

Ende August hatte bereits Jan Roos, ebenfalls Journalist bei GeenStijl und eines der bekannten Gesichter der Ukraine-Kampagne, angekündigt, als Spitzenkandidat der Partei Voor Nederland (VNL) anzutreten. VNL, gegründet von zwei ehemaligen Weggefährten Wilders, erprobt sich als Alternative zu PVV und VVD mit klassisch liberalem Ton. Die Partei will mehr Referenden, die Grenzen für Asylbewerber schließen und mehr Geld für Militär und Polizei.

Für mehr und vor allem bindende Referenden setzt sich auch Thierry Baudet, der Intellektuelle unter den Organisatoren des Ukraine-Referendums, ein. Der 33-Jährige gilt als konservatives Wunderkind und nimmt mit seiner Partei Forum für Demokratie ebenfalls an den Wahlen im März teil.

Für die Parlamentswahlen haben sich bis dato insgesamt 63 Parteien angemeldet. Ob die neu gegründeten Parteien auch tatsächlich an den Wahlen mitmischen werden, ist äußerst fraglich. Eine Sperrklausel gibt es in den Niederlanden zwar nicht, die Erfahrung lehrt aber, dass die meisten Neulinge im letzten Moment aufgeben oder schlichtweg nicht genügend Stimmen erhalten. Dass die Gründer der drei oben genannten Parteien in den Niederlanden bereits bekannte Gesichter sind, dürfte ihnen helfen. Denn mediale Aufmerksamkeit ist ein wichtiger Faktor bei den Wahlen.

Keiner weiß das besser als Rechtspopulist Geert Wilders. Der PVV-Vorsitzende wurde am vergangenen Freitag wegen Diskriminierung marokkanischer Mitbürger verurteilt, kommt jedoch ohne Strafe davon. Der Prozess, so meinten die Richter, sei Strafe genug. Das Gegenteil ist wahr: Wilders Popularität ist seit Beginn des Prozesses gestiegen. Seine Partei würde laut der Sonntagsumfrage des angesehenen Instituts Maurice De Hond bei Wahlen jetzt 36 der 150 Parlamentssitze gewinnen. Das wären neun Mandate mehr als in Umfragen vor Beginn des Prozesses gegen Wilders. Seit Monaten liegt die PVV in Umfragen als stärkste Partei an der Spitze. Wilders kündigte übrigens an, umgehend gegen die Verurteilung in Berufung zu gehen.

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