Gemeinsame Verteidigung unter Vorbehalt
Deutschland und Frankreich geben den Ton an bei der europäischen Sicherheitspolitik - Moskau summt mit
Die Sicherheit Europas? Wer tatsächliche und politische Geografien so vermischt, muss sich nicht wundern, wenn der »Rest« Europas jenseits der EU sich einmischt. So tat es Russlands EU-Botschafter Wladimir Tschischow via »Welt«. Sein Land sei offen für einen intensiven und für beide Seiten vorteilhaften Dialog in zentralen Fragen der Außenpolitik. »Wir sind auch bereit zu einer militärischen Zusammenarbeit«, sagte Tschischow. Er hält es für »durchaus vorstellbar, dass Russlands Armee sich an EU-Operationen beteiligt. So wie andere Drittstaaten auch.«
Ganz neu wäre eine solche zeitlich und räumlich begrenzte Zusammenarbeit nicht. Die russische Marine hat auch schon gemeinsam mit der EU vor Somalia Piraten in Schach gehalten. In Tschad und auf dem Balkan habe man »eng zusammengearbeitet«. Denkbar ist, dass die EU und Russland sich in der Kommandoführung abwechseln oder die Befehlsgewalt der UNO überlassen.
Der Vorschlag ist in mehrfacher Weise interessant. Erstens würde man das arg ramponierte Vertrauen zwischen EU und Russland langfristig aufbessern. Schließlich müsste man sich auf gemeinsame politische Leitlinien einigen. Zweitens würde man die militärischen wie zivilen Kompetenzen und Ressourcen beider Lager optimierten. Drittens hätte die UNO endlich ein verlässliches militärisches Instrument zur Verfügung.
Moskaus Vorschlag kommt zu einer Zeit, in der die EU vor einem grundsätzlichen Wandel steht. Die Staats- und Regierungschefs der noch 28 Länder wollen bei ihrem Gipfel am Donnerstag mehrere Beschlüsse zu den Themen Sicherheit und Verteidigung fassen.
Doch alles, was die EU derzeit zum Thema Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik debattiert und beschließt, steht letztlich unter dem Trump-Vorbehalt. Was der künftige US-Präsident bislang als außenpolitische Ziele definiert hat, ist vage und widersprüchlich. Insbesondere die östlichen NATO- und EU-Staaten wittern Ungemach, sollte Trump das Verhältnis zu Russland entschärfen.
Schlussfolgerung? Die EU muss in Sachen Außen- und Verteidigungspolitik mit einer souveränen Stimme sprechen. Eine Stanze. Nun aber wird die Forderung verstärkt durch den angekündigten EU-Austritt Großbritanniens. Das Land war mit seiner beachtlichen Streitmacht bislang eine wesentliche Stütze der westeuropäischen Verteidigungspolitik und zugleich ein großer Hemmschuh. London blockierte - nicht zuletzt als Washingtons NATO-Wachhund - viele Vorhaben, mit denen die militärische Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten vertieft werden sollte.
Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU wittern Deutschland und Frankreich Morgenluft. Die Verteidigungsminister beider Länder haben bereits im September ein strategisch anspruchsvolles Dokument vorgelegt. Sein Titel: »Erneuerung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Hin zu einer umfassenden, realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU«. Berlin und Paris wollen, dass die EU-Staaten bei Beschaffung und Logistik zusammenrücken sowie ihre Politik in Fragen der Finanzierung und Militärplanung synchronisieren. Vorgeschlagen werden auch ein gemeinsames EU-Sanitäts- und ein Logistikkommando. Neu sind Ideen einer verknüpften EU-Offiziersausbildung. Die industrielle Zusammenarbeit im Militärsektor soll ausgebaut werden. Auch da gehen Deutschland und Frankreich voran. Die EU selbst will gemeinsame militärische Forschungen sowie Rüstungskooperationen finanziell unterstützen.
Deutschland und Frankreich haben die Unterstützung der EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Auch Italien diente sich der Zwei-Länder-Führung an. Andere Staaten fürchten sie. Verstärkt werden soll auch die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO. Das schone Ressourcen und verstärke die Schlagkraft des jeweils anderen Bündnisses, betonte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mehrfach - dabei schaut auch er wie das sprichwörtliche Kaninchen auf Trump.
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